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Nur zur Sicherheit: Es gibt sie gar nicht.

Sicherheit sei ein wichtiges Bedürfnis, sagen wir uns pausenlos. Ist sie aber nicht. Auch befriedigt sie kein Bedürfnis. Sicherheit hält lediglich in Schach. Eher würde ich von Verlustangst sprechen, zuvörderst vor dem Verlust der Kontrolle. Wir fischen hier im Innerpsychischen, und zwar nach unserem Umgang mit Instabilem und Unwägbarem, das wir mit Fetischen zu kompensieren versuchen, wie Erich Fromm beschrieben hat – durch Religion, Konsum, Autorität, Kontrolle.

Die Wortgeschichte zeigt, worum es eigentlich geht: Das lateinische „securitas“ (sinnigerweise der Name einer schweizweit sehr erfolgreichen, privaten Überwachungsfirma) geht auf „securus“ für sorglos zurück. Heute wird das interpretiert als „frei von unvertretbaren Risiken und Gefahren“. Soweit so wikipedia.

Unsere einzige Sorge: Die Sorglosigkeit

Microsoft Word - Grillfete.docxDer Widerspruch, der unsere Wahrnehmung in Sachen Sicherheit belagert, ist das Leugnen der (Erfahrungs-)Tatsache, dass Sicherheit ein definitiv und brutal vorläufiger Zustand ist. Und ein extrem öder dazu. Metaphorisch: Wir sind nur solange in Sicherheit, wie der Löwe satt ist. Oder wenn er ausgestorben ist. Da arbeiten wir ja dran.

Wir erheben die Sorglosigkeit zur größten Sorge. Wir sind ständig darum besorgt, keine haben zu müssen. Das ist pervers. Es hält pausenlos vom Leben ab. Es macht das Leben selbst zum Risiko, statt anzuerkennen, dass das Leben eben auch aus Risiken besteht. Und damit sind nicht die selbst gemachten gemeint. Wie Sex ohne Gummi, Skifahren abseits der Piste oder zu spät zur Arbeit kommen. Schon eher gemeint sind nicht zu zähmende Phänomene wie Unvorhersehbarkeit und Emergenz.

Ein Nächstes: Durch unser maßlos übersteigertes Bedürfnis nach Absicherung erkaufen wir uns eine Form von merkwürdiger Ereignislosigkeit (alles, was passiert, geschieht geplant) und Kontrollillusion. Wenn sich dann flüchtende Menschen auf den Weg zu uns machen, oder wenn sich Schüler’innen regelwidrig auf die Strasse schicken, um für ihr Recht auf Zukunft zu kämpfen, dann ticken wir aus. Wir erschaffen und erhalten ein ausgeklügeltes System von Sicherheiten, das eine Hermetik erreicht hat, die uns von dem abschneidet, was Leben ursprünglich ist: Exploring & Discovering. Neue Möglichkeiten, neue Begegnungen, neue Wege, neue Lösungen.

Zu diesem Zweck erklären wir die Phänomene des realen Lebens (Risiko, Scheitern, Misslingen, abgewiesen werden, neu anfangen, Loslassen, Sterben) zu Symptomen und verlagern sie in mediale Inszenierungen. Das Risiko findet in Geschichten statt, die wir uns erzählen lassen, um uns zu gruseln, abzuschrecken und bei Laune zu halten. Die exportierten Nebenwirkungen dieser Inszenierungskultur von Freiheit, Wohlstand und Sicherheit, die sich nichts mehr traut und keine wirkliche Verantwortung kennt, fallen im Moment brutal auf uns selbst zurück: durch politische Insolvenz, durch palliative Didaktik, durch globale Migration, durch das Versiegen von Ressourcen, durch aussterbende Tier- und Pflanzenarten, durch die Klimakatastrophe u.v.m.

Der Fetisch des Störungsfreien

„Störungsfreiheit“ ist ein aus dem Technologischen entliehenes Synonym für Sicherheit, das unsere Lebenswelt komplett durchdrungen hat. Allein sie soll noch erreicht werden: verkehrs- und datentechnisch, versorgungstechnisch, medizinisch, bei Organisationsabläufen u.v.m. Die Ironie dabei: Je mehr wir uns auf das Störungsfreie fokussieren, umso weiter rückt es in die Ferne. Flugzeuge stürzen zwar kaum noch ab, sie haben sich aber zu einem wichtigen Teil der (Ver- und Zer-)Störung zahlloser Systeme des Planeten gemausert. Natürlich wünschen wir uns sichere, störungsfreie Flugzeuge. Flugzeuge, die abstürzen, töten Passagiere. Doch Flugzeuge, die nicht abstürzen, töten den Planeten. Welches Element würden Sie also aus dieser „Gleichung“ heraus kürzen um das Töten zu stoppen?

Der hohe Preis der Sicherheit: Konformismus und Vergleichgültigung

Toaster EastwoodIm Sozialen ist es der Zwang zu konformem Verhalten, das unsere Gesellschaften durch normative Vergleichgültigung an den Rand der Implosion bringt. Das Narrativ dazu: „Scheißegal, wie es dem Anderen so geht – dafür ist jeder selber zuständig, und darüber hinaus gibt es Krankenhäuser, Sozialämter, Versicherungen, Gerichte und Gefängnisse.“ Zuständig für anderes sind immer Andere. Auch das gehört zum Fetisch der Störungsfreiheit. Anders soll es gefälligst nur Anderswo gehen. Individualität und Verschiedenheit sind komplett zu einer Sache des Konsums geworden. Vielfalt ist auf die unbedingte und rücksichtslose Vielfalt eines Angebots reduziert: Leben als (Um-)Buchen.

Selbst was der Künstlichen Intelligenz unterstellt wird, nämlich die lückenlose Kontrolle unserer Lebensvollzüge, ist lediglich eine technologisch möglich gewordene Übersteig(er)ung einer längst üblichen kulturellen Perversion: Sicherheit durch Kontrolle. Ein guter Film dazu: Das Leben der Anderen. Die Angst vor Künstlicher Intelligenz richtet sich also nicht gegen mehr Kontrolle, sondern auf den Verlust der Kontrolle über die Kontrolle.

Der Lohn der Sicherheit: Hauptsache Arbeit

256E8492-B47E-4538-8A40-8FD4A8EE67FBUm diesen „Teufelskreis der Sicherheiten“ am Laufen zu halten, gibt es ein ausgeklügeltes System der Be-lohn-ung: Saläre, Karrieren, Renten, Pensionen, Boni, Renditen, Gehaltserhöhungen. Die erniedrigendste Auswirkung aller Sicherheitssimulationen ist in diesem Teil der Welt die, dass wir uns als Arbeitssklaven halten lassen – zynischer Weise auch dann, wenn wir keine haben. Wir tun und unterlassen alles, um nicht aus jener materiellen Absicherung zu fallen, durch deren Aufrechterhalten wir zugleich der Mehrheit der planetaren Mitbewohner’innen ein Minimum an Lebensqualität verunmöglichen.

Wir sind so fest und tief in dieses System der Ausbeutung verstrickt, dass wir jeden Vorschlag, es auszuhebeln, wie die Sau durchs Dorf jagen: „Bedingungsloses Grundeinkommen? Nur was für faule Säcke“ (anders: Rudger Bregman). Wir ergehen uns in Gleichgültigkeit, Ignoranz und nicht selten Hass gegenüber allem, was diesen Status Quo, der ja mittlerweile fast nur noch aus seinen Nebenwirkungen besteht, ins Wanken bringen könnte, und wir nennen es unser Sicherheitsbedürfnis.

Teilen als Risiko und Ursprung einer neuen Wirklichkeit

Was wir verloren haben (vielleicht nie wirklich hatten), ist das Vertrauen in die Möglichkeiten des Menschen und des Menschseins. Vor allem hier sehen wir vor allem Risiken. Darum sichern wir uns ab. Völlig wurscht, ob es sich um flüchtende Menschen handelt, um Schüler’innen, die wegen des Erhalts ihrer Lebensgrundlagen auf die Straße gehen, oder um irgendein Mitglied irgendeiner Gegenpartei. Sie alle sind einzudämmende Sorglosigkeitsrisiken.

längere tischeWeil wir dieses Vertrauen nicht haben, können wir nicht teilen. Auch nicht unter- oder miteinander. Wir verteilen, teilen zu, aus und mit – kontrolliert, zertifiziert und durchreguliert. Teilen geht nicht. Nur tauschen: Leistung führt zu Gegenleistung. Dabei entstünde erst aus der Haltung des Teilens Zukunft im Sinne eines Projekts, das wir als „gemeinsames Drittes“ erkennen. Wenn ich zu teilen beginne, entsteht sofort eine neue Wirklichkeit, in der als erstes die Erwartung verschwunden ist, der und die andere mögen es mir gleich tun. Teilen ist immer asymmetrisch – wie das Leben.

Das Teilen löscht den Argwohn. Wenn ich teile, setze ich mich einem Risiko aus. Ich weiß nicht, was damit geschieht, weil ich keinen Anspruch mehr auf das erhebe, was ich geteilt habe. Teilen hat immer zur Folge, dass genügend zur Verfügung steht. Erst dort, wo jemand oder eine Gruppe nur noch für & an sich denkt, entsteht ein Mangel. Erst im Teilen tritt an die Stelle von Sicherheit die Gewissheit – eine Schwester des Vertrauens.

Geteiltes Wissen halbiert sich nicht, es vermehrt sich. Ebenso die Zeit, die ich teile. Und immer ist und bleibt unvorhersehbar, was mit dem Geteilten geschieht. Dennoch gibt es keine andere Haltung unter Menschen, die mehr Menschlichkeit in die Welt bringt, als die Haltung des Teilens – im Sinne eines Gegenentwurfs zu Kontrolle und Sicherheit. Teilen ist die praktische Seite des Vertrauens und zugleich seine Nagelprobe.

Teilen setzt ungeheure humane Kräfte frei. Es löst Abhängigkeiten in Luft auf und öffnet der Emergenz Tür und Tor. Es ermöglicht sogar konkrete Freiheit, weil durch das Teilen Ressourcen in Umlauf kommen, die ungeahnte Gestaltungsspielräume eröffnen.

Teilen eröffnet und ermöglicht das, was wir durch Sicherheit und Kontrolle vergeblich zu finden hoffen. Oder mit den Worten einer lieben Freundin: Wenn du einen Freund auf einer Insel halten willst, dann schenke ihm (d)ein Boot.

Vier Schritte in die Zukunft des Lernens

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Foto: Moritz Frankenberg. Quelle: Hannoversche Allgemeine

Über den Wandel wird viel gesprochen. Digitalisierung und so. Klima. Wir müssen dringend etwas tun. Also tun wir besorgt. Die „FridaysForFuture“ entlarven das Ganze als Geschwätz und machen klar: Wir müssen uns neu erfinden. Uns nicht weiter unendlich ausdehnen, und sei es durch Künstliche Intelligenz, sondern unser Menschsein neu erfinden. Das reden wir weder herbei noch weg. Wir lernen es – und zwar in vier Schritten.

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Erster Schritt: Loslassen ist der Anfang von Allem

Unser Bildungssystem ist am Ende. Es atmet nur noch, weil und solange es an teuren Maschinen hängt. Dies zu realisieren, ist unumgänglich und schmerzhaft. Wir sagen zwar, wir könnten viel eher loslassen, wenn wir wüssten, was danach kommt. Die Erfahrung zeigt jedoch: erst durch das Loslassen wird mein Blick frei und offen für das, was kommt. Wenn wir uns das eingestehen und wirklich Trauerarbeit leisten, lassen wir los und werden frei für einen neuen Anfang. Ohne dieses Loslassen bleibt jede Vision eine Schimäre, ein Abklatsch der Gegenwart. In meiner Arbeit mit sterbenden und trauernden Menschen wurde mir vor allem dies klar: Loslassen ist der Anfang von Allem. 

Zweiter Schritt: Das Lernen neu erleben und neu beschreiben

To create a new mindset of what we mean when we say learning. Wenn es um radikale Veränderung geht, ist Lernen alles, was uns bleibt. Wenn wir das Alte losgelassen haben, gibt es nur noch Lernende. Jetzt orientieren wir uns am Unbekannten und allein das Lernen bringt uns voran. Dieses Lernen der Zukunft ist nicht mehr auf Phasen und Orte beschränkt. Es ist auch keine Fähigkeit, sondern eine Eigenschaft, wie das Atmen. Wir entdecken das Lernen neu und gehen bei denen in die Schule, die es seit Jahrzehnten praktizieren: Summerhill, Sudbury Valley, Democratic Schools. Einen klaren Blick darauf gibt es hier. Vier Übergänge zum Neuen Lernen werden jetzt relevant: 

Vom Using zum Performing

Keine Bühnenshows & Keynotes, sondern Flow. Psychologisch beschrieben hier – philosophisch hier. Keine inszenierten Lerngelegenheiten mehr. Kein kaltes Buffet der Unterrichtsmethoden und kein didaktischer Bauchladen. Lernen ist nicht mehr das Nutzen (halb-)fertiger Angebote, kein Ausbacken kleiner Brötchen aus Lehrerhand. Stattdessen jetzt das eigene Tempo finden und den eigenen Rhythmus. Die eigene Struktur. Lernen ist nicht mehr ein Anwenden und Einsetzen von Methoden, sondern das Erfinden des eigenen Spiels. Performing als Spiel. Spiel als Ernstfall des Lernens. Konkret beschrieben wird das hier. Auf den Punkt gebracht: 

„Gibt man Kindern die Freiheit (sic!) zu spielen, dann gibt man ihnen die Freiheit, die Natur innovativer Prozesse unmittelbar zu entdecken. Sie erhalten damit unmittelbar eine Umgebung, die erahnen lässt, welche Haltungen ihnen lebenslang nützlich sein werden, im Zeitalter von Innovation, Muße und Kreativität“ (Quelle). Das gilt nicht nur für Kinder – sondern für jedeN von uns.

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Vol de deux

Vom Teaching zum Discovering 

Lernen ist keine Ableitung von Lehren mehr, denn sowohl der Lehrer als auch die Künstliche Intelligenz nehmen mir ja bis heute die fundamentale Aufgabe des Lernens ab: Selbststeuerung und Selbstermächtigung. Wenn Lernen bis heute „being taught“ meint, steht es in Zukunft für das Entdecken – und zwar gerade nicht im Reservat, sondern in der Welt, die kein Lehrmittel ist, wie Christof Arn vermutet, sondern ein Lernort. „Discovering“ meint nicht das Lupfen des Deckels vom Kochtopf oder das Auspacken eines Geschenks. Es setzt nicht am Fließband des Erwartbaren an, es sitzt nicht am (Gaben-)Tisch und harrt der Lüftung eines inszenierten Geheimnisses. Discovering ist im Gegenteil eine Suchbewegung, keine Erwartungshaltung.

Vom Executing zum Exploring 

Lernen kennen wir als das Ausführen von Aufgaben: Ausmalen, Abfahren, Ausfüllen. Das Durchgehen und Abarbeiten von Listen: Executing.

Exploring hingegen ist eine Dynamik, die bei Expeditionen ins Unbekannte gebraucht wird: Der Wille zu erforschen. Sich nicht auf ein nächstes Kapitel gefasst zu machen, das schon geschrieben ist, sondern auf das Neue, das geschrieben werden will. Jeden Stein umdrehen, noch einen Schritt weiter gehen. Sich alle Zeit der Welt nehmen, um in das Unbekannte und nicht Gewusste einzutauchen, um es dadurch für sich zu erschaffen. Nichts, wodurch du eine Expedition vorbereitest, ist dir in dem Moment eine Hilfe, wenn dir das Neue begegnet. Oder Martin Walser: „Das fänd ich gemein, vorbereitet zu sprechen zu unvorbereiteten Menschen“ (Quelle).

Vom „Following Plans“ zur Serendipity

Serendipity bezeichnet eine zufällige Beobachtung von etwas ursprünglich nicht Gesuchtem, das sich als neue und überraschende Entdeckung erweist (Quelle). Sie ist ein Grundprinzip des Lernens, des Fortschritts, jeder Form von Entwicklung. Serendipity braucht völlig andere Umgebungen als die curricular und diaktisch umzäunten Lernräume des Bildungssystems. Sie braucht die zufällig eingeschlagene Richtung, den unabsichtlich gewählten Weg. Das Abseits, die Abweichung, durch die der neue Weg entsteht: die „unerwartete Entdeckung, die durch einen glücklichen Zufall möglich wird. ‚Serendipity‘ tritt in unser Leben, wenn wir in einem Buchladen plötzlich ein Buch in der Hand haben, das durch seinen Umschlag unsere Aufmerksamkeit geweckt hat, das wir eigentlich nie gelesen hätten, aber in dem wir nun plötzlich stöbern. Zu ‚Serendipity‘ gehört es, wenn ich plötzlich eine Zeitungsreportage anlese und gefesselt bin, obwohl ich dachte, ich interessiere mich nicht für das Thema. ‚Serendipity‘ liegt in der Begegnung mit einem Menschen, in den ich mich verliebe, obwohl er nicht meinen ‚Idealvorstellungen‘ entspricht. Und ‚Serendipity‘ liegt auch darin, dass ich plötzlich einem unbekannten Thema begegne, das mich politisch aktiv werden lässt, weil es mir so wichtig erscheint“ (Quelle).

Dritter Schritt: In den Learnflow kommen

Was ist ein Flow? 

Das „als beglückend erlebte Gefühl eines mentalen Zustandes völliger Vertiefung (Konzentration) und restlosen Aufgehens in einer Tätigkeit („Absorption“), die wie von selbst vor sich geht.“ (Quelle) 

Warum ist der Flow für das Lernen so wichtig? 

Weil Lernen nie nachhaltiger ist und nie folgenreicher, weil es nie beglückender und verbindlicher ist, als im Flow. Wenn Klaus Holzkamp das von ihm so genannte expansive Lernen beschreibt, das ein Maximum an Selbst- und Welterschließung ermöglicht, dann beschreibt er den Flow (Quelle). Es ist, wie Daniel Greenberg es beschreibt, unaufhaltbar. Es bedeutet: Ich bin ganz in etwas vertieft, dem ich mich selber verpflichtet habe (Quelle/Seite 89f). 

Wie fühlt es sich an im Flow zu sein?

  • Wir sind vollständig in das verwickelt, was wir tun: zielgerichtet und konzentriert.
  • Ein Gefühl der Ekstase – außerhalb der alltäglichen Realität zu sein.
  • Große innere Klarheit – zu wissen, was getan werden muss und zu wissen, wie gut wir darin sind.
  • Zu wissen, dass die Aktivität machbar ist – dass unsere Fähigkeiten der Aufgabe angemessen sind.
  • Ein Gefühl der Gelassenheit – keine Angst mehr um sich selbst und ein Gefühl, über die Grenzen des Egos hinauszuwachsen.
  • Zeitlosigkeit – durchweg auf die Gegenwart ausgerichtet, scheinen Stunden in Minuten zu vergehen.
  • Intrinsische Motivation – was auch immer Flow erzeugt, wird zu seiner eigenen Belohnung.

(Quelle: TED Talk von Mihaly Csikszentmihalyi) 

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Flow

Den oder einen Learnflow kann ich nicht vorhersagen, vorbereiten oder abrufen. Es gibt allerdings Haltungen, mit denen die Wahrscheinlichkeit steigt, „in den Flow zu kommen“, die das schiere Gegenteil sind von Besorgtsein, Apathie und Langeweile. In Anlehnung an ein Konzept, das Tim Leberecht entwickelt hat, sind es vor allem vier Haltungen, die diesen Schritt erleichtern. Ich habe die Formulierungen von Tim übernommen, von dem es dazu einen wunderbaren TED-Talk gibt (Quelle). Es sind Haltungen, die wir als Menschen einnehmen, die aber auch von Umgebungen gespiegelt werden können, von Räumen, die diese Haltungen fördern; die dazu einladen, in diesen Haltungen unterwegs zu sein, sie einzunehmen. Es sind nicht die Haltungen der wenigen, die lehren oder führen. Es sind die Haltungen aller:

Doing the unnecessary

Das nicht Notwendige tun. Die Spielräume des Lernens entstehen überall dort, wo das Notwendige aus dem Blick gerät, wo mein Interesse jenseits der Nützlichkeitslogik mäandern kann. Dadurch entdecke ich erst den Überfluss an Lerngelegenheiten. Als ich (m)einer achten Klasse in Luzern vorschlug, über ein verlängertes Wochenende nach Berlin zu reisen, und diesen Event selbst zu organisieren, begann ein nicht enden wollendes Feuerwerk an Dynamik, Solidarität, Selbstverantwortung, Energie, Durchhaltewillen, Geschäftssinn. Es entwickelte sich eine völlig neue Form der Klassengemeinschaft. Was in Wochen der Vorbereitung und während der Reise selbst möglich wurde, war eine neue Form der Vertrautheit, weil junge Menschen anfingen, miteinander das nicht Notwendige zu tun. 

Creating intimacy

Vertrautheit schaffen. Nicht als Angebot, sondern als gemeinsam gestaltete Kultur. Eine Kultur, in der Menschen Vertrauen fassen in die Tragfähigkeit und Belastbarkeit der Beziehungen; in der sie sich hervortrauen, in der sie den gemeinsamen Boden pflegen, auf dem sie ihre Beziehungen gestalten; in der eine Kultur der wertschätzenden und verbindlichen Kommunikation auf Augenhöhe wächst. 

Being ugly

Die dunkle Seite des Unzureichenden ausagieren. Unzulänglichkeit anerkennen, adressieren und künstlerisch artikulieren statt sie zu ignorieren oder zu tabuisieren. Sie zelebrieren statt zu stigmatisieren. Sie dramatisieren statt sie zu unterdrücken. Selbstironie als kollektive Ausdrucksform und Ventil etablieren. 

Staying incomplete

Damit ich überhaupt anfange zu lernen, muss meine Umgebung unvollendet sein und bleiben. Als unauslöschliches Merkmal. Irgendetwas muss immer fehlen, unvollständig sein, offen, unpassend und unangepasst, mehrdeutig, widersprüchlich unbeständig und vergänglich – und zwar gewollt, nicht geduldet. Eine Umgebung, die am Perfekten orientiert ist und an der Vollständigkeit, lädt nicht zum Lernen ein. Sie schreckt ab. Staying incomplete bedeutet, dass mich die Welt und meine Beziehungen in ihr hungrig machen, nicht satt. Sie wecken meine Neugier, sie befriedigen sie nicht – letzteres ist ja meine Aufgabe als Lernender. 

Emergenz
Zusammenspiel

Vierter Schritt: Communities bilden. Damit aus Nomaden keine Monaden werden

Communities sind nicht einfach „gegeben“. Sie wollen erschaffen werden. Erst recht in den digitalen Netzwerk- und Plattformstrukturen der Zukunft. Wenn Lernen und Arbeiten immer mehr „nomadisch“ werden, wächst das Risiko, das Menschen immer mehr „monadisch“ funktionieren. Die Gig-Economy birgt die Gefahr der Vereinsamung, wie Marco Jakob, Mitgründer des Coworking-Space Effinger in Bern, im Interview betont. Zwei Herausforderungen stellen sich ein: Lernen, Communities zu bilden und in Communities zu lernen. 

Menschen lernen nicht allein. Üben vielleicht schon. Lernen nicht. Lernen ist immer ein soziales Phänomen. Es ist immer eingebunden in menschliche Gemeinschaft, denn Lernen bedeutet immer auch: Ich erschließe mir die Welt. Lernen ist das sukzessive Ausbauen und Verdichten von Netzwerken mit der Welt. Es lebt aus der Kommunikation – auch dann, wenn es sich Schleifen des Rückzugs oder der einsamen Expedition erlaubt. Es ist, wenn nicht gleichzeitig, so doch jederzeit verbunden mit lernenden Systemen und im Austausch mit ihnen. Deshalb lernen nie nur einzelne Menschen, sondern immer ganze Systeme. Was tun wir, wenn wir Communities bilden?

connecting

Wer ist noch da mit mir? Verbindung aufnehmen. Einen gemeinsamen Raum der Möglichkeiten und der Verbindlichkeit eröffnen durch echte Anwesenheit, durch Aufmerksamkeit. Ankommen ermöglichen.

sensing

Mit welcher Geschichte, mit welchen Geschichten und Anliegen sind wir da? Was beschäftigt uns? Was treibt uns um? Wer sind wir? Welche Themen sind im Raum? Bedürfnisse realisieren. Gemeinsamkeiten entdecken. 

caring

Interesse entwickeln und zeigen. Mich zuwenden. Zuhören. Bei unseren Themen sein. 

sharing

Erkennen, was gebraucht wird. Eine Haltung des Teilens entwickeln. 

co-creating

An den Themen arbeiten. Lösungen entwickeln. Gemeinsam konstruieren, bauen, experimentieren, erforschen.

emerging

Den Mehrwert von Community nutzen. Im Zusammenspiel neue Eigenschaften, Strukturen und Möglichkeiten entwickeln, die nicht auf die Eigenschaften Einzelner zurückzuführen sind.

Diese Elemente bilden zum Beispiel in der ‚Theory U‘ von Otto Scharmer und in der Themenzentrierten Interaktion von Ruth C. Cohn die Grundlage jeder Form menschlicher Entwicklung. Beide Konzepte haben mich in meiner Biografie stark geprägt, und ich profitiere täglich von ihnen.

Community
Emergenz
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Die Kraft der gemeinsamen Vision

Nicht nur sind Administration, Organisation und Budgetierungsfetischismus tödlich für Träume und Visionen, die wir so dringend benötigen im Moment. Was uns derzeit in eine totale Lähmung bannt, als Folge einer neoliberal gefärbten Ökonomisierung aller Lebensvollzüge, das ist die uneingeschränkte Regentschaft des Regulatorischen und Administrativen, der grassierende Legalismus im Sinne eines Glaubens daran, dass die Erlösung aus den Gesetzen kommen wird.

Wir sind so übersättigt mit diesem Mist, dass uns eigentlich nur dann Irritation und Angst anfallen, wenn irgendwo irgendetwas nicht richtig geregelt ist. Nicht konform(ular). Wir sind die Ja-Aber-Kultur. Träume sind schon wichtig, aber sie müssen finanziert werden können, wissen sie.

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Graffiti Art in Alfama/Lisbon. Photo: Christoph Schmitt

Dabei ist das Geld ja schon da – es ist einfach woanders. Bei denen, die ihre Allmachtsfantasien mit jenen Träumen verwechseln, die Zukunft ermöglichen. Nicht für einzelne, sondern für den Lebensraum Erde – mit allem, was auf ihr lebt.

Was den Menschen ausmacht: Er und sie können träumen. Nicht im Sinne eines hirnbiologischen Vorgangs, sondern als Vorwegnahme einer anderen Wirklichkeit. Und nicht im Sinne eines Befürchtens, sondern des gemeinsamen Hoffens. Das Visualisieren einer anderen Welt setzt eine ungeheuere Kraft frei, die es braucht, um sie zu verwirklichen.

Hier müssen wir ansetzen. Aufhören, uns systematisch an diesem Träumen zu hindern durch den kolonialistischen Ordnungswahn der westlichen Welt, der spätestens mit der Einschulung beginnt. Und dann sorgen wir dafür, dass wir gemeinsam anfangen zu träumen von einer neuen Welt, die jene rettet, auf der wir alle stehen.

Loslassen ermöglicht den Neuanfang

aktualisiert am 31.12.2020

Die Medien sind voll mit Aufrufen, jetzt endlich umzudenken, Alternativen zu entwickeln, den Neuanfang zu wagen. In der Politik, in der Ökonomie und in der Bildung, beim Einsatz von Technologie, in der Gestaltung von Gesellschaft und Arbeit, in Fragen des Klimas und der Ökologie. Kein Bereich ist ausgeschlossen. „Fünf vor Zwölf“ ist die Maxime. Gleichzeitig machen wir weiter wie bisher. Woher dieser Widerspruch, und wie finden wir aus ihm heraus?

In meiner Arbeit mit trauernden Menschen habe ich gelernt: Trauern macht Loslassen möglich. Nicht die rationale Einsicht. Auch nicht Ratschläge oder Drohungen („Jetzt reiß dich doch zusammen!“).

Das gilt nicht nur im Angesicht des Todes. Ich sehe da einen Zusammenhang mit unserer Situation als Gesellschaft, als menschliche Gemeinschaft. Mit der schier ausweglosen Lage, in die wir uns und den Planeten manövriert haben. Mit der kollektiven Weigerung, das eigene Verhalten zu ändern – und loszulassen.

Wir stehen gerade vor einer Weiche: Setzen wir unsere wuchtigen technischen Möglichkeiten für eine Humanisierung unserer globalen Lebensverhältnisse ein und für den Erhalt unserer Lebensgrundlagen? Oder treiben wir den Wahn auf die Spitze, bis die Lichter ausgegangen sind?

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Übergänge. Foto: Christoph Schmitt

Anerkennen: Es ist vorbei

Wovon hängt es ab, wie wir uns entscheiden? Von Wissen und Einsicht nicht. Wir wissen, was wir dem Planeten antun und unseren Kindern hinterlassen – und wir machen so weiter. Wir leiden unter Bullshit-Jobs und harren aus. Wir spüren und sehen, wie unsere Kinder unter Schule leiden und lassen es zu. Uns ist klar, dass eine Partnerschaft am Ende ist, und wir bleiben. Wir vermuten, dass insgesamt irgendetwas ziemlich schief läuft – und ziehen unser Ding weiter durch.

„Es braucht halt Zeit“. So die schulterzuckende Reaktion: Menschen verändern sich nicht von heute auf morgen. Organisationen erst recht nicht. Das mag stimmen, kann aber auch eine große Ausrede sein.

Die ökologische und humane Katastrophe vollzieht sich täglich. Wir werden mit Bildern von ihr überschüttet, mit Analysen und mit Forderungen, endlich Lösungen anzukarren. Wir wissen, womit wir aufhören müssen, wir wissen, was wir stattdessen zu tun haben – und fahren fort. Noch einmal: Warum?

Meine Antwort habe ich in den unzähligen Begegnungen mit trauernden Menschen gefunden. Der Moment, in dem sie loslassen, ist es ein Moment der Entkrampfung, ein Zulassen von Schmerz über den Verlust und seine Endgültigkeit.

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Scherbenhaufen. Foto: Christoph Schmitt

Einen Bogen um die Trauer machen

Aber wer sollte solche Gefühle wollen? Auch trauernde Menschen machen um diesen Schmerz erst einmal einen Bogen. Auch Menschen, die selbst eine schreckliche Diagnose bekommen, die erfahren, dass ihr Tod unausweichlich ist, wollen das erst einmal nicht wahrhaben. Je mehr ich zu verlieren habe, umso mächtiger bauscht sich die Hoffnung auf, das Festhalten.

Jedoch: Die Kraft und der Wille, mit dem Selbstbetrug aufzuhören und der Realität ins Auge zu sehen, die kommen aus dem Trauern – und zwar um den Verlust: Auch um den Verlust von Menschen, die auf der Flucht ertrunken sind, um verhungernde Menschen im Jemen, um die Opfer von Amokschützen und pseudoreligiösen Fanatiker’innen, um den Verlust von Respekt und Menschlichkeit in unserer eigenen Gesellschaft, um die elenden Lebensbedingungen industriell produzierter Tiere, um die Situation von Arbeitssklav’innen – Ihnen als Leser’in fallen ganz sicher noch mehr solche traurigen Situationen ein.

Ich bin zu der Überzeugung gekommen, dass ein wichtiger Grund für das globale Leid und sein Anwachsen mit der Angst und der Weigerung zu hat, um etwas zu trauern und loszulassen.

Damit fangen wir aber erst an, wenn wir realisiert haben, dass etwas unwiederbringlich vorbei ist und verloren: Eine Schimäre von Wohlstand und Wachstum, an die wir geglaubt haben, wie frühere Generationen an einen Gott. Die Hartnäckigkeit, mit der wir das „Vorbei“ leugnen, hat sehr viel mit der Angst vor dem Verlust zu tun. Ein Verlust, der sich in diesem Moment längst vollzogen hat – den wir aber nicht akzeptieren können.

Jedoch: Wenn mein Verlust real ist, dann ist es auch meine Trauer. Dann sollte ich mich nicht für sie schämen. Ihr Ausdruck zu verleihen, ist die Voraussetzung dafür, damit ich  loslassen kann und abschließen. Je ernster die Lebenslage, um so wichtiger das Loslassen. Je größer der Verlust, umso wichtiger das Trauern darüber – denn das Trauern macht Loslassen möglich – und das den Neuanfang.

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rose & rubbish. Foto: Christoph Schmitt

Das Ritual: Wie Trauern und Loslassen möglich werden

Mir hilft ein einfaches Bild, um den Übergang zu verstehen, der sich in der Trauer vollzieht: Wenn ich einen Verlust realisiere, füllt sich mein Rucksack mit Wut, Schmerz, Angst und Resignation, die mich wie schwere Gewichte nach unten ziehen und alles zäh machen und unbeweglich und die Zukunft verdunkeln. Durch mein Trauern verwandelt sich diese Last in eine reale Leichtigkeit. Dazwischen liegt das Loslassen, das seine Zeit braucht – und Solidarität.

Hier kommt das Ritual ins Spiel. Das qualifizierte. Das gemeinschaftliche. Trauern ist kein einsamer Akt. Trauer ergreift immer eine Gruppe von Menschen. Um eineN SterbendeN trauert immer eine Gemeinschaft. Kein Verlust der Welt betrifft nur einen einzelnen Menschen. Deshalb versammeln sich nach Flugzeugabstürzen nie einzelne Hinterbliebene, sondern alle Trauernden. Trauern und Loslassen brauchen eine Gemeinschaft. Das ist kein Zufall sondern ein wesentliches Element des Trauerns – und des Loslassens. Selten sind Solidarität und Schulterschluss so wertvoll, wie in der Trauer.

Die Zeit des Loslassens ist die Zeit des Rituals, der gemeinsam durchlebten Trauer angesichts eines Verlusts. Wir realisieren, dass etwas Wertvolles zu Ende gegangen ist: Eine gemeinsame Zeit, ein Projekt, ein Lebensabschnitt, ein Traum. Diesen Abschied gemeinsam zu vollziehen, ist der erste Schritt in die Zukunft.

Der Nutzen von Ritualen in der Arbeitswelt

Als Coach und Organisationsberater habe ich den Eindruck, dass in Veränderungsprozessen genau hier sehr oft der Knackpunkt liegt: Ein gescheitertes Geschäftsmodell wird mal eben „begraben“, ein abgestürztes Start-up schnell „beerdigt“. Menschen werden mit einem warmen Händedruck entlassen oder outgesourct. Maßnahmen der Organisationsentwicklung werden zwecks Umsetzung mal eben kommuniziert. Kurz und schmerzlos muss es sein.

Warum ist das eher nicht hilfreich? Weil es immer um reale Menschen geht und um deren Zukunft. Um deren Hoffnungen und Ängste. Um die Anstrengung, die es bedeutet, einen neuen Anfang zu machen. Weil Verlust immer mit Trauer einhergeht, die krank macht, wenn sie keinen Ausdruck findet. Weil sich durch diese Hauruck-Verfahren die Zukunft von Menschen verdunkelt.

Wenn es stattdessen gelingt, gemeinsam einen wertschätzenden Akt des Loslassens um das Ende einer Epoche und einer Hoffnung zu vollziehen, dann werden die Betroffenen fähig, einen neuen Anfang zu machen. Ein qualifiziertes Ritual fängt die Emotionen der Trauer(nden) auf. Es ermöglicht das Loslassen und damit einen wirklichen, gemeinsamen Abschluss. Das Ritual erlaubt mir, einen Unterschied zu bilden zwischen dem, was ich loslassen muss und dem, was ich in die Zukunft mitnehmen werde, weil es wertvoll ist und bleibt.

Nicht zuletzt erwächst den Beteiligten aus der Erfahrung, diesen Abschluss und dieses Loslassen gemeinsam geschafft zu haben, eine wertvolle Kraft für den Neuanfang!

Es klingt groß, fängt aber im kleinen an: Wenn es uns gelingt, dort wo wir leben und arbeiten, in kleinen Gruppen und Gemeinschaften zu trauern – nicht nur über den Verlust der eigenen Geschäftsmodelle, Lebensträume und Gewissheiten, sondern ebenso über den Verlust an Leben und Hoffnung „around the world“, dann entwickeln wir ein belastbares Fundament der Solidarität. Wenn wir Rituale des Abschieds und des Loslassens (wieder) in unser Leben und Arbeiten lassen, Rituale die uns erlauben, etwas loszulassen, was uns bereits davon geschwommen ist, dann retten wir damit die Welt. Unsere eigene ebenso wie die unserer Mitmenschen.

Loslassen befreit nicht nur. Es verbindet.

 

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Banksy/wikipedia

Über Demokratie in der Schule

„Warum sich Lehrer genau jetzt für Demokratie einsetzen müssen“ – so ist ein aktueller Blog-Post von Dejan Mihajlovic überschrieben, dessen Engagement für eine andere Schule ich seit längerem mit großen Interesse verfolge. In seinem aktuellen Artikel fordert er ein verstärktes Engagement von Lehrer’innen für echtes demokratisches Handeln an Schulen – nicht zuletzt im Unterricht selbst als dem Ort, wo Schule ganz zu sich selber kommt.

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Hier geht’s zum Blog-Post

Ich finde seinen Artikel wieder einmal toll. Sein Engagement, mit Hand und Fuß, begeistert mich total, weil ich merke: Da hat einer genau jene Vorstellungen von Schule hinter sich gelassen, die heute noch immer den Normalfall bilden – und die eine wesentliche Ursache dafür bilden, dass Schule u.a. dem grassierenden Rechtspopulismus nicht wirklich etwas entgegenzusetzen weiß – weil es an echter, demokratischer Teilhabe mangelt, so Mihajlovic.

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Aus dem Blog-Post

Zwischen den Zeilen lese ich, dass der Autor in einer Schulwelt arbeitet, in der seine Überzeugungen und Argumente oft verhallen, und dass die Wirkkraft seiner Überzeugungen womöglich vor allem an seiner Person (und an seinen Mitstreiter’innen) hängt. Nun könnte mann sagen: Das ist halt so. Es sind immer Menschen, die etwas bewirken und verändern. Hätten wir also mehr von der Sorte, hätten wir andere Schulen.

Die Realität funktioniert anders. Menschen bewirken das, was Systeme an Wirkung zulassen und was nicht – und oft bewirken revolutionäre oder einfach nur geniale Einwürfe sogar ein Verstärken dessen, wofür Systeme stehen, und worunter wir täglich leiden. Und so macht, wer autoritäre Systeme mit demokratischen Anliegen konfrontiert, nicht selten die Erfahrung, dass diese ihre autoritäres Gebaren genau deswegen noch verstärken.

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Aus dem Blog-Post

Systeme bestimmen darüber, welches Handeln in ihnen erfolgreich ist und welches nicht. Deswegen sind es am Ende auch nicht jene Lehrer, die mit antidemokratischen Reflexen den demokratischen Fortschritt einer Schule verhindern – denn sie führen ja schlussendlich einen Auftrag aus.

Es mag auf den ersten Blick bizarr klingen: Menschen zeigen in Systemen auf Dauer vor allem jenes Verhalten, das belohnt wird – wodurch es verstärkt wird, wodurch es belohnt wird, wodurch es verstärkt wird. Ausgerechnet Schule übt und exerziert dieses Prinzip ja bis zum Erbrechen. Demokratie bleibt, so schreibt auch Dejan Mihajlovic, ein Placebo.

Ernstfall Demokratie

Dass Schule in ihrem Kerngeschäft nicht endlich ein Ort demokratischer Praxis wird, hat nichts mit fehlendem persönlichem Engagement zu tun oder mit Löchern in der Argumentation von Menschen, die demokratische Werte verwirklichen möchten. Es liegt womöglich nicht einmal an Lehrer’innen, die sich dagegen sträuben oder sich zu wenig für das Demokratische einsetzen.

Es liegt daran, dass es keinen „demokratischen Unterricht“ geben kann und wird, weil sich die Anliegen und Ziele dieser beiden Formate (Demokratie hier und Unterricht dort) ausschließen. Besonders eindrücklich zeigen dies funktionierende demokratische Schulen (https://www.eudec.org/), die sich nach dem Konzept der Soziokratie organisieren. Ein besonders gut gelingendes Beispiel für eine solche Schule ist diese hier – sie überzeugt auch deshalb, weil sie das Prinzip Demokratie so uneitel wie erfolgreich praktiziert:

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Hier geht’s weiter.

Ich weiß nicht, ob Dejan Mihajlovic das Format „Unterricht“ demokratisieren möchte, oder ob er es vor allem demokratisch anreichern will. In demokratischen Schulen jedenfalls wurde der Unterricht als Format im und durch den Prozess der Demokratisierung folgerichtig abgeschafft. Es geht nicht mehr darum, dass Schüler’innen mitbestimmen, mitgestalten und mitentscheiden dürfen – das Hilfsverb dürfen ist von der Bildfläche verschwunden.

Wo in erzieherischen und pädagogischen Kontexten von dürfen die Rede ist, ist der entscheidende „Turn“ in der Praxis noch nicht gemacht. Es ist dann noch immer wie zuhause, wo Kinder fragen, ob sie nicht noch ein wenig länger aufbleiben dürfen. Je nach demokratischer Gesinnung der Elternschaft werden die Argumente gehört oder nicht, denn, so der Tenor: „Die Kinder wissen doch noch gar nicht, was sie wirklich brauchen!“

Ob wir länger aufbleiben dürfen oder nicht, ob wir den Rahmen, innerhalb dessen wir erzogen und „gebildet“ werden, mitbestimmen dürfen, das entscheiden in diesem Mindset immer andere – und genau das ist keine Demokratie. In der Schule nennen wir das Unterricht. Demokratie bleibt im Unterricht immer ein Spiel, eine Übung, die im nächsten Moment vom Lehrkörper abgebrochen werden kann. Mit hoher Wahrscheinlichkeit dann, wenn „es aus dem Ruder läuft“, also wenn es tatsächlich demokratisch wird, sprich: konsequent.

Dieses Konzept können wir durchbrechen. Dann sind Entscheidungen allerdings immer demokratische Entscheidungen – und das bedeutet: von allen getroffen und getragen – und nur auf demokratischem Weg über den Haufen zu werfen. Dass das funktioniert, zeigen schon heute etliche demokratische Schulen. Was ich an ihnen am meisten bewundere: Dass sie das Mühsame und oft Zähe an demokratischen Prozessen durchstehen. Um der Demokratie willen.

Ich wünsche mir nichts mehr, als dass die Anliegen von Dejan Mihajlovic endlich epidemisch werden. Die visionäre Kraft dahinter ist unbezahlbar – ebenso wie das Engagement so vieler, das sich aus solchen Quellen speist. Genau aus diesem Grund trete ich dafür ein, dass wir das System Schule hinter uns lassen, denn das ist der erste Schritt in Richtung einer demokratischen Gemeinschaft, die kein Placebo mehr ist – sondern ein Ort, an dem alle aktiv ihre Verantwortung erkennen und wahrnehmen.

Erinnerung an 2018

2018 war für mich ein Jahr der verrückten Diskussionen mit Bildungsfachleuten, LehrerInnen und Dozierenden. Einige von ihnen realisieren knapp, dass sich die Berufe ihrer Klient’innen „irgendwie verändern“. Wobei die Skepsis nach wie vor überwiegt – was mit krassen Wissensdefiziten aufseiten der Bildungsprofis zu tun hat. In der Folge hat die Digitale Transformation in Schulen bis heute den Status eines Gerüchts und Digitale Medien den eines zweischneidigen didaktischen Hilfsmittels. Der Rektor einer Berufsschule drückte das neulich so aus: 

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Was die Diskussionen vor allem zeigen: Lehrende realisieren nicht, dass und wie ihr eigener Beruf von der Digitalen Transformation betroffen ist, und dass der in seiner herkömmlichen Identität und Funktion verschwinden wird. Das gilt auch für jene, die sich mit ihrer Hoffnung auf ein digitales Erwachen von Schule in den Sozialen Medien outen. Auch sie gehen ganz selbstverständlich davon aus, dass die Schule, die sie vorne in die Waschanlage schieben, hinten wieder als solche rauskommt. Wie neu.

Das Tesla-Syndrom: Hinten kommt das bessere Vorne raus

Hier wirkt das „Tesla-Syndrom“: Aus dem stinkenden Auto mit Verbrennungsmotor wird ein sauberer Batterieschlitten, der am Ende auch noch selber fährt. Darüber hinaus bleibt unsere Fantasie aber beim Auto. Das hatten wir bereits in „Back To The Future“, wo das Skateboard, mit dem Marty McFly im Jahr 1955 durch Hill Valley braust, in Teil zwei zu einem Hoverboard mutiert. Also im Jahr 2015 🙂

So geht Transformation aber nicht. Wie beim Auto nicht einfach eine andere Technik unter die Haube einzieht, sondern das normative Konzept des Individualverkehrs verschwinden wird (weil ja für genau dieses Problem eine Lösung gesucht ist), so wird das „Konzept Schule“, wie wir es kennen, abgelöst. Nicht „durch Digitalisierung“ sondern aufgrund der Digitalen Transformation.

Es wird also kein digitalisiertes Nachfolgemodell für Schule und Lehrer mehr geben, weil das Konzept selber an sein Ende kommt – nicht zuletzt deshalb, weil es die Probleme, zu deren Lösung es anzutreten vorgibt, nicht nur vergrößert, sondern produziert. Vergleichbar mit unseren traditionellen Mobilitätskonzepten, die Mobilität mittlerweile nicht nur nicht erhöhen, sondern behindern. Wir kommen nur noch schwer vom Fleck.

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Analoge Digitalisierungsfantasien

Es wird in Bälde keine Schulen mehr geben, und keine Lehrer‘innen – weil es die Welt, in der Schule und Lehrer das Modell der Wahl waren, nicht mehr gibt; weil die in einem fundamentalen Prozess der Transformation steckt – der womöglich so schnell auch gar nicht endet.

Diese Transformation ist bereits am Laufen. Hoch dynamisch, chaotisch, unberechenbar.

Für Anja Wagner und Angelica Laurençon geht es deshalb jetzt um Kooperation, Zukunftsorientierung und Optimierung von Plattformen und Netzwerken. „Anstelle von normativen Vorlagen und Programmen, deren Ausarbeitung länger dauert als ihre Relevanz.“ (B[u]ildung 4.0, S. 29).

„Wir brauchen

  • Lernumgebungen, die dezentral und vielgestaltig von diversen Nutzergruppen kreativ besucht werden können;
  • Lernmodule, die weder an Präsenzzwang noch an zeitliche Auflagen gebunden sind;
  • Inhalte, die von den Lernenden erweitert und vernetzt werden können;
  • Mitmenschen, die sich selbst als ständig Weiter-Lernende begreifen“ (ebd., S. 47).

Wir entwickeln also Lernnetzwerke, die lernende Netzwerke sind. Konkret ausformuliert habe ich das hier.

 „Die Zukunft und das Leben der Millionen Wissensarbeiter*innen im digitalen, globalen Zeitalter hängt vor allem von B(u)ildung 4.0 ab, deren Stimuli Vernetzung, Kollaboration und Zusammenarbeit sind. Sie setzt auf den schaffend tätigen Menschen, dessen Kompetenz und permanente Kreativität neue Werte schaffen, die es für eine nachhaltige Welt dringend braucht“ (B[u]ildung 4.0, S. 31).

Schule werden wir nicht mehr haben, weil wir sie nicht mehr brauchen.

Bitte lernen lassen. Danke. 

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Immer wollen sie spielen. Phase 1. (Photo: Christoph Schmitt)

Was, wenn „selbstbestimmt und selbstorganisiert lernen“ keine Fähigkeit wäre, sondern eine grundsätzliche Eigenschaft des Lernens? Was, wenn Lernen an sich selbstbestimmt und selbstorganisiert wäre? Wenn also diese beiden Eigenschaften das Lernen auszeichnen würden? Wenn Lernen also Selbstorganisation wäre und Selbstbestimmung, egal was Erziehung und Pädagogik tun und was nicht? Wenn das also Eigenschaften wären, die zum Lernen nicht noch irgendwie hinzukommen würden, auch nicht etwas, „das wir lernen“ wie Radfahren, sondern wenn sie immer schon Merkmale des Lernens wären?

Welchen Sinn würde es dann machen, von selbstorganisiertem und selbstbestimmtem Lernen als einer Fähigkeit zu sprechen, die ein Mensch unter bestimmten Umständen entwickelt und unter anderen nicht oder nur schlecht?

Keinen.

Was, wenn auch ein auf den ersten Blick als Lernverweigerung oder Lernverzögerung daherkommendes Verhaltensmuster nichts anderes wäre als eine Funktion des sich auch in dieser Situation selbst organisierenden und selbst bestimmenden Lernens? Was, wenn das Lernen selbst dort, wo es stark eingeengt würde auf formalisierte Lernprozesse, diese Eigenschaft nicht und nie verlieren würde – sondern z.B. selbstbestimmt und selbstorganisiert nach Auswegen suchen würde, die das erziehende System als defizitär interpretiert?

Obacht.

Die Auffassung, selbstbestimmtes und selbstorganisiertes Lernen sei eine Fähigkeit, würde dann das, was eine Voraussetzung für das Entwickeln von Fähigkeiten ist, nämlich eine der wichtigsten Eigenschaften von Lernen, zu einer Folge dieser Entwicklung erklären. Und auf dem Hintergrund dieses Vertauschens von Voraussetzung und Folge würde DANN die Überzeugung Sinn machen, dass wir selbstbestimmtes und selbstorganisiertes Lernen entwickeln können, denn DANN ist dieses Lernen ja nicht (mehr) die Voraussetzung für das Entwickeln und Entfalten irgendwelcher Fähigkeiten, sondern die Folge einer Entwicklung, die wir JETZT natürlich fördern müssen. Und schon brauchen wir Pädagogik und Didaktik.

Und genau darum geht’s bei dem ganzen Lehr-Lern-Zirkus: Auf Gedeih und Verderb eine Begründung dafür zu produzieren, dass es Didaktik und Pädagogik braucht.

Merken sie was?

Dabei ist es mit dem Lernen doch wie mit dem Atmen. Auch Atmen ist keine Fähigkeit sondern eine Eigenschaft lebender Wesen: Sie atmen. Und was auch immer in der Luft ist, wie sauber oder verpestet die sein mag, wie „richtig“ oder „falsch“ einer atmet, oder wie stark diese Funktion eingeschränkt sein mag: solange der Mensch lebt, atmet er und sie. Atmen ist keine Fähigkeit, die ich entwickle. Es ist jederzeit eine (mir) gegebene Voraussetzung. Von selbstbestimmtem und selbstorganisiertem Atmen zu sprechen, wäre sinnlose Rede, denn es gibt das Gegenteil nicht.

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Diese faulen Säcke. (Photo: Christoph Schmitt)

Mein Atmen kann ich so oder so „einsetzen“. Nie aber einstellen. Es organisiert sich jederzeit selbst und selbstbestimmt – allen kreativen Interventionen zum Trotz. So auch beim Lernen. Beide sind eine Voraussetzung für alles andere. Lernen wird nicht erst durch seinen irgendwie pädagogisch unterstützten oder behinderten Einsatz zu mehr oder weniger selbstorganisiertem und selbstbestimmtem Lernen, weil es das jederzeit ist.

Aber passt denn die Metapher mit dem Atmen hier wirklich? Schließlich gibt es ja auch die „künstliche Beatmung“ in Fällen, in denen jemand nicht mehr von selbst atmen kann. Dann aber sind wir ja lebensgefährlich krank. Dies gleichzusetzen mit einem pädagogisch konstruierten „lernschwachen Menschen“, den mann zum Lernen tragen müsste wie den berühmten Hund zum Jagen, wäre zynisch, denn was Schule in Wahrheit tut, ist dies:

Sie verhindert durch ihr Handeln systematisch, dass lernende Menschen – hier wieder metaphorisch gesprochen – ihre Lungen frei von der Leber weg gebrauchen. Unterricht „beatmet“ kerngesunde Menschen jahrlang künstlich (das nennt sich „Didaktik“). Anschließend geben Unterrichtende zu Protokoll, dass die wenigsten Lernenden über die Fähigkeit des selbstbestimmten und selbstorganisierten Atmens verfügen. Bis auf ein, zwei besonders begabte Atmer – bei denen zu Hause halt auch viel geatmet wird. Aber schließlich müsse man ja alle mitnehmen.

Merken sie was?

Die Annahme, dass es zwei grundsätzlich unterschiedliche Formen von Lernen gibt: hier das selbstbestimmte, dort das fremdbestimmte, ist falsch, weil Lernen nicht fremdbestimmbar ist. Was auch immer wir einem lernenden Menschen antun, verweigern, ermöglichen: sein und ihr Lernen ist und bleibt selbstorganisiert und selbstbestimmt. Es macht keinen Sinn, von fremdbestimmtem Lernen zu sprechen, so wenig es Sinn macht, von fremdbestimmtem Atmen zu sprechen.

Dass die erschreckende Mehrheit der Menschen große Probleme mit dem selbstbestimmten Lernen hat, kommt nicht daher, dass ihnen eine Fähigkeit fehlen würde. Vielmehr ist der Moment, wenn du zum ersten Mal ohne Schlauch atmen sollst, angstbesetzt – und nicht selten schmerzhaft.

LEBEN ist vielleicht das Zäheste, was das Universum erfunden hat – auch wenn es nur in kleinen Nischen der Komplexität gedeiht. Ein ökologisches System kann sich auf erstaunlich vielfältige Weise an wechselnde Bedingungen anpassen. Menschen sind extrem komplexe organische Systeme, die es im Rahmen eines linear-mechanischen Welt-Modells gar nicht geben dürfte, die aber über enorme Selbststeuerungs- und Anpassungsfähigkeiten verfügen. »Natur« entwickelt ihre Robustheiten aus den Gesetzen der evolutionären Systemdynamik, im Sinne der »zyklischen Co-Evolution«.

Quelle

Wenn wir von Lernen sprechen, sprechen wir von einem selbstorganisierten und selbstbestimmten Prozess. Lebende Systeme lernen immer selbstbestimmt und selbstorganisiert – völlig unabhängig davon, wie stark äußere Manipulationen auf den Menschen einwirken, also auch „mit einem Schlauch im Hals“: Sein und ihr Lernen ist und bleibt selbstorganisiert und selbstbestimmt. Auch wenn es aufgrund irgendwelcher Umstände selbstbestimmt und selbstorganisiert in die Hose geht.

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Immer wollen sie spielen. Phase 2. (Photo: Christoph Schmitt)

Pädagogik und Didaktik kommen hier an eine Grenze, die sie uns aber geschickt als ihren Augangspunkt verkaufen. Haben sie sich doch zu dem Zweck erfunden, um bestimmte menschliche Fähigkeiten zu entwickeln (und andere zu verhindern). Ein beliebtes Narrativ in der Pädagogik lautet, dass es da „Anlagen“ gibt und „Potenziale“, die durch pädagogische Intervention erst entwickelt werden und entfaltet. Sie geht also davon aus, dass junge Menschen etwas noch nicht haben, dass sie bestimmte Fähigkeiten noch nicht (entwickelt) haben, und dass die dann mit Hilfe ausgefeilter pädagogischer Interventionen entwickelt werden – und in jedem Fall besser und zielgerichteter als ohne diese Interventionen – oder gar selbstbestimmt 😆.

Und diese Überzeugung wendet die Pädagogik dann ganz selbstverständlich auf das Lernen selbst an. Dabei übersieht sie, dass das Lernen für sie als Wissenschaft und Praxis eine Voraussetzung bildet, über die sie gar nicht bestimmen kann. Wäre Lernen nicht a priori selbstbestimmt – die Pädagogik hätte überhaupt keinen Angriffs- und Ansatzpunkt für ihr Brimborium.

Würden Menschen nicht immer schon lernen, und zwar selbstbestimmt und selbstorganisiert, dann würden sie auch nicht mit Hilfe von Pädagogik und Didaktik lernen.

Hartes Brot.

Noch einmal: Die landläufigen Probleme und Differenzen und Halbwahrheiten und Konflikte im Kontext des selbstorganisierten und selbstbestimmten Lernen entstehen dadurch, dass wir annehmen, es handle sich dabei um eine zu entwickelnde Fähigkeit. Diese falsche Annahme liegt unserem pädagogischen Menschenbild und Denken zu Grunde.

Erst wenn ich begriffen  habe, als Mensch ebenso wie als (Bildungs-)System, dass Lernen ein fundamental selbstbestimmtes und selbstorganisiertes Phänomen ist, wenn ich verstanden habe, dass es hier um eine Eigenschaft menschlicher Existenz geht, um ein Merkmal menschlichen Lebens wie das Atmen, erst dann werde ich aufhören, an lernenden Menschen herumzudoktern und herum zu didaktisieren, „damit sie das selbstorganisierte und selbstbestimmte Lernen lernen“. Dann lasse ich davon endlich die Finger weg.

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Immer lassen sie alles liegen. (Photo: Christoph Schmitt)

Erst wenn ich verstanden habe, dass Lernen keine Fähigkeit ist, die sich durch pädagogische Intervention entwickelt, sondern eine Eigenschaft, die ihr jederzeit vorausgeht und sich ihr jederzeit entzieht, haben neue Architekturen und Designs von Lernprozessen den Hauch einer Chance.

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Innovative Konzepte, klärende Zugänge und neue Wege in dieses Verständnis von Lernen zeigt regelmäßig Jane Hart auf – ich profitiere von ihren Umfragen, Analysen und Interpretationen seit Langem. Deshalb möchte ich mit einem Auszug aus ihrem aktuellen Buch schließen:

It „is important not to misuse the word ‚learning‘. Words like ‚training‘, ‚courses‘, ‚content‘ are not synonyms of ‚learning‘. ‚Learning‘ is not a product nor a commodity; it is an internal process, so, in other words:

  • You can’t design learning  – you can design training, a course, or content – but that’s not designing learning
  • You can’t deliver learning – you can deliver training or a course – but that’s not delivering learning
  • You can’t transfer learning – you can (try to) transfer knowledge – but that’s not transferring learning
  • You can’t manage learning – you can manage participation on a training course or access to some online content – but that’s not managing learning.

The only person who manages learning is the individual him/herself.“

Wider die Bedeutungslosigkeit: Wie wir dem Digital Age den Sinn abringen

 

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Lisbon 2018

Unser Ziel ist nicht die Digitalisierung des Lernens und Arbeitens. Unser Ziel ist es, gemeinsam eine neue Kultur des Lernens und Arbeitens zu entwickeln, die uns befähigt, die Möglichkeiten und Herausforderungen der Digitalen Transformation aktiv zu gestalten. Es geht jetzt darum, dass wir uns neu erfinden. Als Menschen, als Gemein- und Gesellschaften. Die Frage, welchen Sinn individuelle Existenz und das Zusammenleben von Menschen haben, stellt sich gerade radikal neu.

 

Unter zunehmendem politischem Druck interpretieren Schulen die Digitalisierung rein technologisch und fangen damit an, Klassenzimmer und Infrastrukturen digital aufzurüsten – während sie den Einsatz individueller Devices großflächig untersagen. Sie importieren digitale Tools und Medien in die klassischen Unterrichtsformate und stiften dadurch mehr Verwirrung als sie Unterstützung bieten – bei allen Beteiligten. Zugleich reduzieren sie den dringend nötigen Diskurs über die Zukunft des Lernens auf Fragen und Probleme der technischen Infrastruktur.

Was Schulen und andere Bildungsinstitutionen übersehen, ist der kulturelle Impact der Digitalisierung. Der wird mit dem Begriff „Digitale Transformation“ erfasst. Hier geht es nicht mehr um technische Auf- und Ausrüstung, die mittlerweile völlig selbstverständlich ist. Es geht um eine tiefgreifende (!) Veränderung unserer Kultur: Kommunikation, Abläufe und Prozesse, Projekte, Organisation, Zusammenarbeit, das alles verändert sich im Moment und in Zukunft radikal. Digitale Transformation bedeutet, dass alle Formate, in denen wir als Menschen unterwegs sind, dass das Framing unseres individuellen, sozialen und ökonomischen Handelns sich völlig verändert – und damit auch die Spiel- und Handlungsfelder.

Unser Dasein in Raum und Zeit verändert sich

Die Ansprüche an unser Menschsein (Lernen, Arbeiten, Gesellschaft gestalten) und die Art, wie wir damit umgehen: beides verändert sich durch digitale Technologien völlig. Wir entwickeln z.B. eine ganz andere Beziehung zum Raum, in dem wir leben, lernen und arbeiten, in dem wir uns aufhalten und bewegen, in dem wir „sind“. Auch unsere Beziehung zur Zeit verändert sich. Warum wir in welcher Zeit wohin fahren oder gehen sollten, im Stau stecken oder in überfüllten Zügen, um uns hier oder dort aufzuhalten, um Dienstleistungen zu erbringen, um etwas zu kaufen, um Wissen zu generieren, um uns aus- und weiterzubilden, um unsere Arbeit zu machen: diese Notwendigkeiten fallen nach und nach weg. Der Grund dafür liegt in den Gelegenheiten, die uns die Digitalisierung als technologisches Phänomen gibt, es anders zu machen: menschlicher, verträglicher, ökologischer.  Durch die Digitalisierung verändert sich unser Verhältnis zu physischen Räumen, weil wir sie jetzt und in Zukunft anders nutzen können: viel offener, spontaner, vielfältiger. Zwei besonders eindrückliche Beispiele für Orte, die sich in ihrem Wesen radikal verändern, sind der „Arbeitsplatz“ und der Ort, an dem wir lernen.

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Zitat von Tim Leberecht vom https://houseofbeautifulbusiness.com/

Zuerst einmal fallen mit diesen neuen Gelegenheiten bestimmte Notwendigkeiten weg. Wir müssen nicht mehr an einen eigens gestalteten Arbeitsort fahren, dort ein- und wieder auschecken. Lernende müssen nicht mehr an einen eigens dafür gestalteten Lehrort fahren, nicht an eine Uni, an eine Schule oder an ein Seminarzentrum. Warum nicht? Weil derzeit in den beiden zentralen gesellschaftlichen Funktionen des Lernens und des Arbeitens das für die Digitale Transformation charakteristische Phänomen der Dezentralisierung greift. Dadurch wurde zuerst eine Flexibilisierung möglich: entweder am Arbeitsplatz oder zuhause arbeiten. Mittlerweile werden die Alternativen immer vielfältiger – „Zentralen“ und zentrale Orte werden von Netzwerken abgelöst.

Zentren und Zentralen werden durch Netzwerke abgelöst

In wenigen Jahren schon ist es nicht nur für die Arbeit selbst einigermaßen irrelevant, wo ich sie erledige. Die Art von Arbeit, die für Menschen übrig bleibt oder neu entsteht, ist nicht mehr an Orte gebunden und auch nicht an fixe Zeiten. Vielmehr kann ich an jedem beliebigen Ort jederzeit „meine Zelte aufschlagen“, weil ich jederzeit Zugang zum Internet oder zu physischen Netzwerkknoten habe, wo ich meine Arbeitskolleginnen und Geschäftspartner finde. Den Takt geben dabei nicht mehr die Büro- oder andere Öffnungszeiten vor, sondern die Absprachen, die Menschen miteinander treffen, wann sie welche Aufgaben miteinander bearbeiten. Exakt darauf müssen Schule und Ausbildung vorbereiten – und das können sie nur, wenn sie selber nach diesem Prinzip funktionieren – und das können sie nur, wenn sie das Prinzip verstanden haben. Dass unsere Schulen hier noch nirgends sind und völlig in ihren alten Mindsets gefangen, wird langsam aber sicher zu einem echten Problem – jenseits der Frage nach digitaler Aufrüstung.

Was für die Arbeit der Zukunft gilt, gilt also auch für das Phänomen des Lernens. Bis heute binden wir es an fixe Zeiten und Zeitrhythmen, an Räume (Klassenzimmer, Hörsäle). Das Lernen ist also bereits heute viel stärker hierarchisch determiniert als das Arbeiten, weil es durch Lernziele, Lerninhalte (Curricula), eng gefasste Prüfungsformate, Bewertungskriterien ohne echte Aussagerelevanz, und am Ende durch Zertifikate (Zeugnisse, Diplome) strukturiert ist. Während sich die menschliche Arbeit mehr und mehr den gesellschaftlichen und ökonomischen Rahmenbedingungen der Digitalen Transformation anzupassen weiß, ziehen sich Lehren und Lernen immer mehr zurück in die traditionellen Formate und beharren darauf, dass es sie genau so geben muss, wie es sie immer gegeben hat: In physischer Präsenz, zu fixen Zeiten, nach Jahrgängen und Fächern getrennt, durch Prüfungsrhythmen getaktet, von Wissensvermittlern überwacht. Doch genau diese Phalanx, diese Architektur von Lernen ist durch die Digitale Transformation hinfällig geworden.

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Jared Fricklin during his stunning speach in the House of beautiful Business.

Reaktionäre Reaktionen sind verständlich aber brandgefährlich

Die zunehmende Nomadisierung von Arbeit und Lernen spült im Moment krasse Gegenreaktionen an Land. So genannte Experten führen die Trägheit des Menschen und seine „analogen Bedürfnisse“ gegen offene Formen des Lernens ins Feld. Die Unverzichtbarkeit des physischen Raumes wird lautstark betont und mit der „Beschaffenheit“ arbeitender und lernender Menschen begründet. Es wird davor gewarnt, Arbeiten und Lernen „ins Internet“ zu verlegen.

Das übelste Argument lautet, dass sowohl arbeitende als auch lernende Menschen „das alles gar nicht können“: Arbeitsräume und -zeiten selbstverantwortet gestalten, Arbeits- und Lernprojekte kollaborativ organisieren. Aber gerade dieses Argument ist nichtig, weil sich Lernen ja gerade dadurch auszeichnet, dass Menschen lebenslang in Situationen kommen, in den sie etwas „noch nicht können“ und sich neue Fähigkeiten und Wissen anzueignen. Das ist Lernen!

Und woher sollen Menschen diese Kompetenz, ihr Lernen selbstverantwortlich und kollaborativ zu gestalten, heute bereits nehmen, wenn das staatliche Bildungswesen alles dafür tut, die Entwicklung dieser Kompetenzen zu vernachlässigen? Dass also „einige Menschen dann nicht (oder schwer) lernen, wenn man wenig Vorgaben macht, sondern vor allem Räume und Anregungen bietet, ist kein Freipass dafür, Fremdsteuerndes im Bildungssystem weiterzupflegen, sondern Anlass dazu, gemeinsam herauszufinden, wie Menschen Selbststeuerungsfähigkeit und Selbststeuerungsfreude auf- und ausbauen“ (Christof Arn in einem Beitrag auf agiledidaktik.ch)

Wie lösen wir das Problem statt es zu verstärken?

  1. Wir individualisieren das Lernen radikal. Damit ist keine Isolierung des Lernens gemeint, sondern eine technische, räumliche und zeitliche Erweiterung der Gelegenheiten: Wir nehmen lernende Menschen als Individuen wahr und ermöglichen ihnen, ihr Lernen gemäß ihren Bedürfnissen, Potenzialen, Interessen und Grenzen zu gestalten, Ihr eigenes Lerntempo zu finden und ihre Lernprozesse eigenverantwortlich zu gestalten. Schon diese Individualisierung führt zu einer fundamentalen Humanisierung des Lernens, weil lernende Menschen in ihren prägenden Lebensphasen nicht mehr jahrelang über einen Kamm geschoren werden und gemeinsam durch ein einziges Nadelöhr kriechen.
  2. Wir ermöglichen und fördern Strukturen, Räume und Orte, „die Scheitern zulassen und in Lernen überführen, weil sonst offene Prozesse nicht gewagt werden können. Qualitätsmanagement, Evaluation, Kontrolle in herkömmlichen Formen sind überwiegend schädlich. Es braucht dafür neue Ideen“. (Christof Arn)
  3. Kollaboratives Lernen: Wir vernetzen Lernen von Grund auf, indem wir Lernnetzwerke bilden: Colearning-Spaces und Colearning-Labs phyischer und digitaler Art (konkret: hier).
  4. Wir ersetzen Lehren durch reziproke Formen des Coaching. Wenn wir im Rahmen einer neuen Kultur des Lernens entsprechende Prozesse und Projekte etablieren, dann treten Funktionen des Coachings und der systemischen Beratung und Begleitung des Lernens an die Stelle des Lehrens. Unterstützung beim Lernen erhält dadurch den Charakter der Gegenseitigkeit. Begleitung beim Lernen und (Er-)Arbeiten von Lösungen erfolgt bedarfs- und situationsorientiert. Lernende lernen, sich Hilfe zu holen und selber als Coaches sichtbar zu sein.
  5. Lehrpläne, Modulbeschriebe, Prüfungsreglemente werden – wenn man denn unbedingt an ihnen festhalten muss – „so formuliert, dass die Lernenden eigene Ziele setzen und sie auf selbstgewählten Wegen anpacken können“ (Christof Arn).

 

Warum das Netz die Zukunft ist

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Quelle

Weil die alten Überzeugungen, Menschenbilder und Mächte noch wirksam sind, können viele von uns heute aufgrund politischer und ökonomischer Grenzen nicht dort hin, wo es uns hinzieht, wo wir sinnvolle Arbeit und Begegnung und das vollumfängliche Recht auf Menschsein finden würden. Die Grenzen, die uns gezogen werden durch Nationalität, Hautfarbe, Geschlecht, soziale Schicht und Herkunft gehören einem Zeitalter an, das seinem Ende zugeht – und das sich deshalb im Moment noch einmal wuchtig aufbäumt und armiert.

Doch das digitale Netz erlaubt uns täglich mehr, diese Grenzen zu unterlaufen: Menschen und Ideen überall auf der Welt zu entdecken, mit ihnen in Kont(r)akt zu treten, uns auszutauschen. Voneinander zu lernen. Uns systematisch miteinander zu verbinden. Das Digitale Netz der Möglichkeiten hat längst seinen Siegeszug angetreten, weil es Menschen und ihre Träume verbindet. Ihre Fähigkeiten und Ängste, ihre Überzeugungen und Werte.

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Take a look inside.

Die physischen Ein- und Begrenzungen von Kultur und Kommunikation, auf die die alten Systeme so beharren, diese Zäune und Mauern, die Millionen von Menschen davon abhalten, in Freiheit und Sicherheit zu leben, werden durch die Möglichkeiten des Digitalen Netzes immer brüchiger. Sie werden am Ende wirkungslos sein.

Anstatt mit dem Finger auf jene zu zeigen, die diese Möglichkeiten auf unmenschliche Art einsetzen, sollten wir besser das Netz für unsere Zwecke nutzen – auf der Basis von Menschlichkeit und Augenhöhe, von Gleichheit und Respekt. Es gibt keinen Grund, das Netz denen zu überlassen, die in zerstörerischer Absicht unterwegs sind. Nichts und niemand hält uns davon ab, diese Welt mit Hilfe des Digitalen Netzes zu einem besseren Ort zu machen für alles, was lebt. Nichts außer den Bildern in unseren Köpfen – und die  grassierende Unwissenheit darüber, was alles möglich ist.

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(From the Business Romantic Society)

Die Chance, dass sich jene zusammenfinden, die ein vitales Interesse an einer menschlichen Zukunft haben und diese auch gemeinsam gestalten wollen, die wird größer durch die Möglichkeiten des digitalen Netzes. Es ist das einzig verbliebene Werkzeug, das wir haben, um jene Grenzen zu unterlaufen und zu hintergehen, in die uns die alten Siegermächte bannen mit ihrem Mindset des zeitverzögerten Weltuntergangs. Das digitale Netz ist die einzige Möglichkeit,  in einem globalen Chaos die guten Kräfte zu verbinden und stark zu machen.

Mit dieser Erfahrung, Erkenntnis und Überzeugung bin ich vom Beautiful House of Business zurückgekehrt.

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#houseofbeautifulbiz

At yesterday’s Conference of #BeautifulBusiness we entered an alternative world of visions and predictions, that are not necessarily our destiny. It’s our responsibility to decide what sorts of futures we’d prefer to move towards and – what ultimately makes us human. As Resident Gianpiero Petriglieri put it: „As humans, we have two immense capacities: to love and to learn“. Thanks to all residents who shared their radically beautiful opinions, stories, and dreams with us. And now, onwards to four days at the #HouseofBB.

 

Nutze das Netz: Es gehört dir!

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Fortschritt war für den Menschen immer verbunden mit Vernetzung. Die Versorgung mit Trinkwasser durch ein Leitungsnetz ebenso wie der Bau eines Straßennetzes oder der Abwassersysteme. Sie machten vielen Krankheiten und Seuchen den Garaus. Auch das Stromnetz war die Voraussetzung für eine nächsten zivilisatorischen Schritt. Jetzt stehen wir am Anfang der Digitalen Transformation. Jetzt wird das Internetz immer dichter. Viele haben Angst davor und verstehen das alles nicht. Sie fürchten den „Digitalen Hospitalismus“.

Es ist wie früher, als sie sagten: „Wasser aus der Leitung ist böse! Holt Euer Wasser weiterhin beim Brunnen, statt nur am Wasserhahn rum zu hängen! Wenn ihr nicht mehr ‚real kommuniziert‘ auf dem Weg zum Brunnen, dann vereinsamt und verödet ihr!“ Sie wollen lieber, dass alles so bleibt, wie es ist. Du nicht? Dann lies mal weiter.

Möchtest du weiterkommen? Bist du in letzter Zeit neugierig geworden, was in und hinter dem ganzen Hype um die Digitalisierung steckt? Dann geht’s dir ähnlich wie mir.

Wir realisieren, dass sich um uns herum in beruflicher Sicht eine Menge verändert. Die einen merken das am zunehmenden Organisationsaufwand in der Firma. Andere realisieren es anhand der Gerüchte über schlechte Zahlen, Stellenabbau, Fusionen. Womöglich nimmst du am Rand wahr, dass sich jemand nebenher was aufbaut. Vielleicht kennst du eine Kollegin, die mit anderen zusammen übers Internetz ein kleines Business gründet. Vielleicht spürst du aber auch bei dir selbst eine gewisse Unzufriedenheit und Enge mit deiner beruflichen Situation.

Und jetzt überall diese Digitalisierung. Allgegenwärtig. Das Internetz: ständig da. Ständig online. Immer verfügbar. Ein enormer Sog geht von ihm aus. Es zieht alles an, was in seine Nähe kommt, saugt offenbar alles auf.

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Ein kurzes Video zur Digitalisierung

Das Internetz hat eine unglaubliche Dynamik. Es bietet mittlerweile fast alles an, was ein Mensch brauchen kann (und was nicht), und vor allem: es bietet dir so gut wie alle Möglichkeiten der Welt, dich zu informieren, dich mit interessanten Menschen zu vernetzen, dich mit faszinierenden Leuten auszutauschen, von anderen zu lernen – und andere von dir.

„Weiterbildung“ und Lernen bekommen also eine ganz neue Seite: Sie tauchen nicht bloß an den gewohnten Orten (Schule) und in den gewohnten Formen (Unterricht) auf. Es gibt sie nicht mehr nur als fixfertige Kurse, in denen alles vorbereitet und vorgespurt ist. Du kannst das jetzt selber in die Hand nehmen. Dich selber bilden – und nicht über die Akademie soundso, die dafür stattliche Preise verlangt.

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Warum in ein Klassenzimmer sitzen um dir etwas anzuhören, was es im Netz viel lebendiger und vernetzter und kostenlos gibt? Auch wenn du persönliche Begleitung, Unterstützung oder Expertinnen suchst, berufliche Orientierung, Gesprächspartnerinnen, Antworten, Lösungen, Ideen: alles drin. Und du entscheidest, was du dir mit wem zusammen wann zu Gemüte führst.

Das Internetz bietet dir alle Möglichkeiten dazu. Du lernst das Lernen völlig neu kennen. Anders als du es in Schule und Ausbildung erlebt hast. Jetzt lernst du ganz anders: durch das Eintauchen ins Netz, das Surfen, das Googeln, das Vernetzen, das Anlegen eigener „Spaces“, in denen du das sammelst, was wichtig für dich ist. Du lernst die digitale Welt für dich und dein Weiterkommen zu nutzen, so wie du dir die schönsten Städte Europas durch die Nutzung ihres U-Bahn-Netzes zu erschließt. Wer die U-Bahn verstanden hat, versteht die Stadt viel besser. Wer das Internetz versteht, versteht die Welt.

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gif von Melanie Vetterli in meinem Buch Digitalisierung für Nachzügler

Du erschließt dir durch das Internetz neue, bisher unbekannte Welten – und zwar nicht nur zum Zweck der Belustigung und Erholung. Nicht nur für Freizeit und Konsum. Durch das Internetz erfährst du mittlerweile alles, was du brauchst, um dein Leben besser zu gestalten. Du begegnest durch das Internetz Menschen, die mit ähnlichen Fragen unterwegs sind wie du. Die dir auf der Suche nach Antworten genauso helfen werden wie du ihnen. Menschen und ihre Netzwerke, die in jeder erdenklichen Frage (Gesundheit, Beruf, Arbeit, Politik, Alter, Finanzen, Reisen, Politik, Technik und vieles mehr) unterwegs sind. Du entdeckst Menschen und Ideen, die dir vor dem Internetzzeitalter unbekannt waren oder unzugänglich. Das alles steht dir jetzt offen zur Verfügung: praktisch das ganze „Wissen der Welt“. Und zwar nicht nur als „Meer von Informationen“, in dem du ertrinken könntest. Das Schöne ist: Das Internetz ist ein großes Dorf mit Begegnung,  Austausch, mit gegenseitiger Beratung und Unterstützung. Es ist kein Chaos. Es ist ein quietschlebendiges Netz 😉

Du findest im Netz praktisch jede Form der Gemeinschaft von Menschen, die sich zu jedem erdenklichen Thema treffen, austauschen und gegenseitig weiterbringen. Auch in deiner Nachbarschaft! Auf youtube und vimeo gibt es zu jedem Thema der Welt, der Wissenschaft, der Kunst, der Technik oder der Wirtschaft Millionen von Videos, die dir verständlich erklären, was du bisher nicht verstehst: Mathe, Chemie, das Bauen einer Brücke, das Gründen einer Firma, das Fischen, das Anlegen eines Gartens mitten in der Stadt – was auch immer du suchst, was auch immer dich interessiert und weiterbringen kann: es ist offen und kostenlos im Netz – und einfach zu finden.

Fang einfach an. Zum Beispiel damit:

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Tipps für den Einstieg von acw