„Warum sich Lehrer genau jetzt für Demokratie einsetzen müssen“ – so ist ein aktueller Blog-Post von Dejan Mihajlovic überschrieben, dessen Engagement für eine andere Schule ich seit längerem mit großen Interesse verfolge. In seinem aktuellen Artikel fordert er ein verstärktes Engagement von Lehrer’innen für echtes demokratisches Handeln an Schulen – nicht zuletzt im Unterricht selbst als dem Ort, wo Schule ganz zu sich selber kommt.

Ich finde seinen Artikel wieder einmal toll. Sein Engagement, mit Hand und Fuß, begeistert mich total, weil ich merke: Da hat einer genau jene Vorstellungen von Schule hinter sich gelassen, die heute noch immer den Normalfall bilden – und die eine wesentliche Ursache dafür bilden, dass Schule u.a. dem grassierenden Rechtspopulismus nicht wirklich etwas entgegenzusetzen weiß – weil es an echter, demokratischer Teilhabe mangelt, so Mihajlovic.
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Aus dem Blog-Post
Zwischen den Zeilen lese ich, dass der Autor in einer Schulwelt arbeitet, in der seine Überzeugungen und Argumente oft verhallen, und dass die Wirkkraft seiner Überzeugungen womöglich vor allem an seiner Person (und an seinen Mitstreiter’innen) hängt. Nun könnte mann sagen: Das ist halt so. Es sind immer Menschen, die etwas bewirken und verändern. Hätten wir also mehr von der Sorte, hätten wir andere Schulen.
Die Realität funktioniert anders. Menschen bewirken das, was Systeme an Wirkung zulassen und was nicht – und oft bewirken revolutionäre oder einfach nur geniale Einwürfe sogar ein Verstärken dessen, wofür Systeme stehen, und worunter wir täglich leiden. Und so macht, wer autoritäre Systeme mit demokratischen Anliegen konfrontiert, nicht selten die Erfahrung, dass diese ihre autoritäres Gebaren genau deswegen noch verstärken.

Systeme bestimmen darüber, welches Handeln in ihnen erfolgreich ist und welches nicht. Deswegen sind es am Ende auch nicht jene Lehrer, die mit antidemokratischen Reflexen den demokratischen Fortschritt einer Schule verhindern – denn sie führen ja schlussendlich einen Auftrag aus.
Es mag auf den ersten Blick bizarr klingen: Menschen zeigen in Systemen auf Dauer vor allem jenes Verhalten, das belohnt wird – wodurch es verstärkt wird, wodurch es belohnt wird, wodurch es verstärkt wird. Ausgerechnet Schule übt und exerziert dieses Prinzip ja bis zum Erbrechen. Demokratie bleibt, so schreibt auch Dejan Mihajlovic, ein Placebo.
Ernstfall Demokratie
Dass Schule in ihrem Kerngeschäft nicht endlich ein Ort demokratischer Praxis wird, hat nichts mit fehlendem persönlichem Engagement zu tun oder mit Löchern in der Argumentation von Menschen, die demokratische Werte verwirklichen möchten. Es liegt womöglich nicht einmal an Lehrer’innen, die sich dagegen sträuben oder sich zu wenig für das Demokratische einsetzen.
Es liegt daran, dass es keinen „demokratischen Unterricht“ geben kann und wird, weil sich die Anliegen und Ziele dieser beiden Formate (Demokratie hier und Unterricht dort) ausschließen. Besonders eindrücklich zeigen dies funktionierende demokratische Schulen (https://www.eudec.org/), die sich nach dem Konzept der Soziokratie organisieren. Ein besonders gut gelingendes Beispiel für eine solche Schule ist diese hier – sie überzeugt auch deshalb, weil sie das Prinzip Demokratie so uneitel wie erfolgreich praktiziert:

Ich weiß nicht, ob Dejan Mihajlovic das Format „Unterricht“ demokratisieren möchte, oder ob er es vor allem demokratisch anreichern will. In demokratischen Schulen jedenfalls wurde der Unterricht als Format im und durch den Prozess der Demokratisierung folgerichtig abgeschafft. Es geht nicht mehr darum, dass Schüler’innen mitbestimmen, mitgestalten und mitentscheiden dürfen – das Hilfsverb dürfen ist von der Bildfläche verschwunden.
Wo in erzieherischen und pädagogischen Kontexten von dürfen die Rede ist, ist der entscheidende „Turn“ in der Praxis noch nicht gemacht. Es ist dann noch immer wie zuhause, wo Kinder fragen, ob sie nicht noch ein wenig länger aufbleiben dürfen. Je nach demokratischer Gesinnung der Elternschaft werden die Argumente gehört oder nicht, denn, so der Tenor: „Die Kinder wissen doch noch gar nicht, was sie wirklich brauchen!“
Ob wir länger aufbleiben dürfen oder nicht, ob wir den Rahmen, innerhalb dessen wir erzogen und „gebildet“ werden, mitbestimmen dürfen, das entscheiden in diesem Mindset immer andere – und genau das ist keine Demokratie. In der Schule nennen wir das Unterricht. Demokratie bleibt im Unterricht immer ein Spiel, eine Übung, die im nächsten Moment vom Lehrkörper abgebrochen werden kann. Mit hoher Wahrscheinlichkeit dann, wenn „es aus dem Ruder läuft“, also wenn es tatsächlich demokratisch wird, sprich: konsequent.
Dieses Konzept können wir durchbrechen. Dann sind Entscheidungen allerdings immer demokratische Entscheidungen – und das bedeutet: von allen getroffen und getragen – und nur auf demokratischem Weg über den Haufen zu werfen. Dass das funktioniert, zeigen schon heute etliche demokratische Schulen. Was ich an ihnen am meisten bewundere: Dass sie das Mühsame und oft Zähe an demokratischen Prozessen durchstehen. Um der Demokratie willen.
Ich wünsche mir nichts mehr, als dass die Anliegen von Dejan Mihajlovic endlich epidemisch werden. Die visionäre Kraft dahinter ist unbezahlbar – ebenso wie das Engagement so vieler, das sich aus solchen Quellen speist. Genau aus diesem Grund trete ich dafür ein, dass wir das System Schule hinter uns lassen, denn das ist der erste Schritt in Richtung einer demokratischen Gemeinschaft, die kein Placebo mehr ist – sondern ein Ort, an dem alle aktiv ihre Verantwortung erkennen und wahrnehmen.