Immer wenn ein Boomer oder eine Boomerin darüber spricht, wie die Zusammenarbeit mit der Generation Z gelingen kann, werde ich misstrauisch, denn es ist ja in jedem Fall eine Boomersicht – und die erweist sich in letzter Zeit eher als Teil des Problems. Da ich selber ein Boomer bin, bringt mich das in eine Zwickmühle. Es erhöht mein Misstrauen gegenüber meinen eigenen Überzeugungen und Einstellungen.
Andererseits erlebe ich die Zusammenarbeit mit deutlich jüngeren Menschen als enorm inspirierend, entspannend, entlastend, lösungsorientiert, als anschlussfähig, flexibel, kompromissbereit.
In der Zusammenarbeit mit der Generation Z und noch jüngeren Menschen kommen für mich pausenlos alternative Sichtweisen ins Spiel, deren Qualität sehr wohl etwas mit der Zugehörigkeit zu einer Generation zu tun haben. Hier erlebe ich auch die so dringend notwendige Diversität, die uns dabei hilft, mit den komplexen Herausforderungen der Gegenwart klar zu kommen.
Szenenwechsel
XUND in Luzern ist das zweitgrösste Bildungszentrum für Gesundheitsberufe der Schweiz. Zusammen mit über 250 (!) Betrieben der in der Zentralschweiz trägt es die Verantwortung für die Ausbildung Pflegender Berufe.
Diese Berufe hängen heute und in Zukunft komplett davon ab, ob sich junge Menschen für sie entscheiden – und ob sie dabei bleiben. Das habe ich über neun Monate hinweg zum Thema gemacht. Als interner Bildungsentwickler habe ich habe im Auftrag von XUND Studierende befragt und Mitarbeitende, Lehrende und Weiterbildende. Vertreter*innen aus den Betrieben. Ich habe Interviews geführt, Diskussionen moderiert, Ergebnisse visualisiert.
Im Ergebnis erweist sich über alle Interviews, Rückmeldungen und Einschätzungen hinweg die Entwicklung einer neuen Kultur der Zusammenarbeit als spielentscheidend für die Zukunft.
Es lohnt sich also definitiv, im Kontext der Pflegeinitiative Ressourcen zu investieren, um neue Formen der Zusammenarbeit zwischen allen Involvierten zu entwickeln, denn:
Ein wesentlicher Gelingensfaktor um den Personalnotstand und den Fachkräftemangel umzukehren, liegt in der Art und Weise, wie die Menschen in Schule, Ausbildung und Pflegealltag zusammenarbeiten.
Hier liegt der Schlüssel für die Zukunft der Pflegeberufe – und übrigens auch für den Beruf der Lehrpersonen, für die Berufe der Sozialen Arbeit, der Gastronomie, im Tourismus, in der IT und auf dem Bau. Diese neue Kultur hat einen Namen:
Es geht um Kollaboration
Die ist nicht einfach eine neue Form der Arbeitsorganisation, wie häufig missverstanden wird. Sie ist eine neue Kultur der Zusammenarbeit – die im Moment einzig erfolgsversprechende, um junge Menschen ins Boot zu holen, und um den rasanten, fundamentalen Umwälzungen in der Arbeitswelt erfolgreich zu begegnen.
Wie ich darauf komme und warum ich Kollaboration für eine veritable Lösung halte, das beschreibe ich in diesem Video:
Wir stecken in einem Paradigmenwechsel, der alle kulturellen Dimensionen neu definiert: Gesellschaft, Ökonomie, Arbeit, Wissenschaft und Forschung – womit wir Geld verdienen, wie wir arbeiten, kommunizieren, zusammenleben – das alles verändert sich gerade fundamental. Mit unseren geltenden Vorstellungen von Schule, Bildung und Lernen lässt sich das weder erfassen noch begreifen noch gestalten.
Titelbild: Irgendwo in Wien | Christoph Schmitt
Erster Aspekt: Es geht nicht um Werkzeuge sondern um Kultur
Im Interview mit Tamedia (2.10.2021) sagt die Lernforscherin Prof. Dr. Elsbeth Stern von der ETH Zürich (!): „Ich habe so langsam ein Problem mit dem Begriff digitales Zeitalter. Was heisst das denn eigentlich? Es wird immer so getan, als sei das jetzt eine Zeitenwende.“
Frau Stern artikuliert in diesem Interview (durchgehend) die Vorstellung, dass es sich bei „Digitalem“ ausschliesslich um Werkzeug handelt: „Es gibt wunderbare Möglichkeiten, zum Beispiel für das Üben von Vokabeln oder Mathe-Aufgaben. Da kann der Computer adaptive, an den individuellen Lernstand angepasste Aufgaben stellen und gute Rückmeldungen geben.“
Diese Mängel sind in der Tat ein großes Problem in Deutschland. Doch selbst wenn wir diesbezüglich paradiesische Zustände hätten, würde Schule nach wie vor das tun, was sie immer tut, weil der kulturelle Rahmen immer stärker ist.
Diese Überzeugung ist in Bildungskontexten „State of the Art“: Da gibt es ein paar digitale Endgeräte, ein Internet und (hier und da) WLAN, der Rest der Welt ist hingegen „wie immer“.
Wenn Frau Stern dann noch zu Protokoll gibt: „Ein jedes Werkzeug ist ein Tand in eines tumbenToren Hand“, dann redet sie damit zwar nicht wenigen Pädagog*innen das Wort. Doch sie unterschlägt (oder ignoriert), dass gerade der versierte Einsatz eines Werkzeugs, jederzeit die Absicht seines/ihrer Nutzer*in spiegelt. Das gilt nicht nur für Sprache, Schusswaffen oder Narkotika.
Die für den pädagogischen Kontext exemplarischen Positionen von Frau Stern machen deutlich: Die Herausforderung der Stunde für Schulalltag und Lernforschung besteht darin, Digitalität als ein Kulturphänomen zu begreifen, nicht als Tool oder als technisches Upgrade klassischer Be-Schulung: „The Digital Condition is not about transporting content but transforming societies and people“ (Quelle) – und genau das ist heute Bildungsarbeit. Die digitale Technologie selber ist längst Normalität – außer in Pädagogistan, wo sie als eine Art „neue Unterrichtstechnik“ interpretiert wird.
Was meint „Kultur der Digitalität als Handlungsrahmen“?
Dazu lasse ich einen ausgewiesenen Experten sprechen:
Immer mehr Menschen sehen sich selber als jemanden, der/die sprechen kann, der/die in irgendeiner Weise berufen ist, eine Meinung zu haben und diese auch zu vertreten.
Zum anderen erfahren wir eine umfassende gesellschaftliche Liberalisierung, die es Gruppen, die bisher nicht ’sprechfähig‘ waren, erlaubt, mit ihren Wertesystemen, mit ihrem kulturellen Horizont an die (digitale) Öffentlichkeit zu treten und mitzugestalten.
Daraus folgt: Kulturelle Fragen stellen sich auf immer mehr Feldern, es gibt vermehrte Handlungsoptionen, mehr Möglichkeiten des Handelns, die miteinander konkurrieren und in irgendeiner Weise verhandelt werden müssen.
Diese Verhandlungen sind eingebettet in immer komplexere Technologien. Um überhaupt angesichts diese Menge an Kommunikation, die in diesen Verhandlungen produziert wird, handeln zu können, um nicht in kommunikationsreduzierende Organisationsformen gezwungen zu sein und sich durch strikte Hierarchien zu organisieren, um nicht an der inneren Komplexität zu zerbrechen, braucht es immer mehr komplexe Technologien – und also die Fähigkeit, sie entsprechend strategisch einsetzen zu können.
Zusammenfassend: Kultur als Aushandlung von Bedeutung wird heute von mehr Menschen auf mehr Feldern mit mehr Technologie als je zuvor gemacht.“
… aus einem Referat von Felix Stalder zum Thema „Kultur der Digitalität“
Zweiter Aspekt: Wir stecken also in einem Paradigmenwechsel, der alle (!) kulturellen Dimensionen neu definiert: Ökonomie, Arbeit, Wissenschaft und Forschung, das soziale Gewebe; womit wir Geld verdienen, wie wir arbeiten, kommunizieren, zusammenleben – das alles verändert sich gerade fundamental. Mit Lehr- und Bildungsplänen, Unterricht in Klassenzimmern, Jahrgangs-Kohorten und Fächerstrukturen lässt sich das weder erfassen noch begreifen noch gestalten. Auf diesem Hintergrund ist es fatal, dass ausgerechnet im Bildungssystem Vorstellungen von Digitalität üblich sind, die völlig an unserer Lebenswelt vorbeigehen. Stichwort: Digital Citizenship.
The Centre for Digital Citizenship investigates the social and political consequences of current developments in digital media technologies – smartphones, social media, algorithms, data, and beyond – and asks how these technologies shape individuals, citizens, collectives, and publics. While digital technologies offer progress in terms of political mobilization and public conversation, they also hold the potential to enhance old inequalities and divides, countering trust in society. The Centre for Digital Citizenship seeks interdisciplinary explanations to these complex digital developments and their societal effects.
Dritter Aspekt: Bildung bedeutet heute „Alphabetisierung 2.0“, sprich:
Eine eigene Position in der Ursuppe des Informations-Kosmos zu entwickeln, darin orientierungsfähig werden und kritisch
Entscheidungsfähig werden statt nur zwischen vorgegebenen Optionen zu wählen
Offen auf wenig planbare Situationen zuzugehen, statt „Malen nach Zahlen“
Szenarien für das Unvorhersehbare zu entwickeln, statt unter künstlichen Rahmenbedingungen intellektuell zu verhungern
In Prototypen zu denken und zu handeln, statt Perfektion anzustreben
In allen relevanten kulturellen Bereichen zu partizipieren, also von Anfang an aktiv mitzugestalten: teilnehmen und teilgeben zu können
Vierter Aspekt: Dazu brauchen wir eine mit allen anderen kulturellen Playern eng vernetzte („verwickelte“) Schule, mit der Menschen folgendes lernen:
Wissens- und Informationsmanagement im digitalen Kosmos
Kollaboration
Unsicherheitstoleranz
Risikoaffinität
Lösungsorientierung
Ownership
sich in neuen Arbeitsmärkten & Beschäftigungsverhältnissen aktiv & selbstbewusst zu bewegen
Die durch nichts zu zerstörende Überzeugung, dass der eigene Anteil an der Gestaltung von Gesellschaft und Kultur unverzichtbar wichtig ist und sinnvoll.
Die aktuell größte Gefahr für junge Menschen auf ihrem Entwicklungsweg ist die Überzeugung, dass irgendjemand andere*r als sie selber für das Besorgen, Beurteilen, Verknüpfen und Verwerten von Information zuständig sei. Hier liegt im Moment die größte uneingelöste Aufgabe von Bildung.
Fünfter Aspekt: Wir brauchen eine Schule, in der Menschen sich – nicht andere – lustvoll auf verrückte, unsichere und unvorhersehbare Zukünfte vorbereiten.
Sechster Aspekt: Das beginnt mit einer neuen Lehr-Lern-Kultur, die auf Kinder, Jugendliche, ihre Eltern und auf Lehrer*innen gleichermaßen anziehend wirkt.
We ask the big question first of what are the functional skills an adult needs … to operate successfully in society and not be taken advantage of by others. That is our baseline, and forms the core skills in each programme, from explorer to creator to changemaker.
Ich schlage mich schon eine ganze Weile mit dem Widerspruch herum, dass ganz viele Prophet*innen in den Sozialen Medien die Digitale Revolution der Welt ausrufen: alles wird sich verändern in Gesellschaft, Arbeit, Forschung, Wissenschaft und Bildung – und andererseits erlebe ich in meinem beruflichen Alltag, dass nahezu alles seinen gewohnten Gang geht. Die meisten meiner Kund*innen finden das alles auch völlig übertrieben. Woher dieser Widerspruch?
Ich schlage mich schon eine ganze Weile mit einem Widerspruch herum. Einerseits rufen ganz viele Prophet*innen in den Sozialen Medien täglich die Digitale Revolution der Welt aus: dass sich alles verändern wird in Gesellschaft, Arbeit, Forschung, Wissenschaft und Bildung! Andererseits erlebe ich in meinem beruflichen Alltag, dass nahezu alles seinen gewohnten Gang geht. Die meisten meiner Kund*innen finden das auch völlig übertrieben. Woher dieser Widerspruch?
These 1: Uns fehlen die Erfahrungen, oder: Die Botschaft hör ich wohl, allein mir fehlt der Glaube.
Wir haben noch keinen Sense Of Urgency, kein Bewusstsein für die Radikalität der Veränderungen unserer Lebens- und Arbeitswelten, weil wir noch keine Vorstellungen und Bilder davon haben. Uns fehlt die Erfahrung mit diesen Veränderungen. In entscheidenden öffentlichen Bereichen wie Bildung und Arbeit erleben wir diese Veränderungen noch nicht, weil die traditionellen Bildungs- und Arbeitssysteme bisher noch den Anschein machen, dass sie funktionieren: da läuft alles noch so, wie wir es gewohnt sind. Auf der menschlichen Seite von Bildung und Arbeit ist alles minutiös eingespielt: Wir gehen jeden Tag „zur Arbeit“, die lernenden Menschen gehen „in die Schule“. Damit ist für die überwältigende Mehrheit der Menschen in der westlichen Welt der Tag ausgefüllt.
Was ich also täglich in Arbeit und Bildung erlebe, widerspricht den prophetischen Szenarien, dass sich durch Digitalisierung alles radikal verändern wird – während wir uns dem Knick in der exponentiellen Kurve exponentiell nähern.
Wir erleben etwas anderes als Normalität: Bei uns ist das „Klima“ so, wie es unserer Einschätzung nach schon immer war, auch im metaphorischen Sinn des politischen, des ökonomischen und des gesellschaftlichen Klimas – mit Spitzen zwar und einzelnen Auswüchsen, aber das kriegt die Mehrheit der Leute offenbar nach wie vor in der Kategorie des „wie gehabt“ unter.
These 2: Das Bildungssystem vernetzt sich nicht, weil es sich bereits für das Ganze hält.
Mein Eindruck ist, dass vor allem das Bildungssystem die Kontinuität einer Lebens- und Arbeitswirklichkeit simuliert, die längst nicht nur an den Rändern ausfranst, sondern stark fragmentiert ist.
Das Bild, das mir dazu in den Sinn kommt, ist das einer ehemals geschlossenen Eisdecke, die mittlerweile in viele Einzelteile zerbrochen ist, die längst unkontrollierbar auseinander driften, während auf jeder einzelnen Scholle so getan wird, als gäbe es die geschlossene Eisdecke nach wie vor, statt endlich damit zu beginnen, sich als möglicher Knotenpunkt eines Netzwerks zu realisieren und alle verfügbare Energie darauf zu verwenden, sich und seine Aktivitäten mit den anderen „Schollen“ zu vernetzen. Warum? Weil es praktisch nur noch Schollen gibt.
Das Bildungssystem ist der „Ort“, an dem sich aufgrund seiner nach wie vor hermetischen Geschlossenheit gegenüber den umgebenden Wirklichkeiten der Eindruck am stärksten halten und reproduzieren kann, dass die alten Vorstellungen und Bilder von Mensch, Kultur, Kommunikation, Ökonomie und Gesellschaft in Geltung sind und bleiben. Eine bizarre Paradoxie.
Und doch ist das der Subtext des Bildungssystems. Vor allem die Schule versäumt es über die gesamte Schulzeit hinweg, jungen Menschen den ungehinderten Zugang und die freie Interaktion mit jenen Phänomenen und Entwicklungen zu ermöglichen, die unsere Welt momentan auf den Kopf stellen. Wenn irgendwo in unseren Gesellschaften die Simulation von Normalität und Kontinuität durchgehend funktioniert, dann in Schule und Hochschule, in Aus- und Weiterbildung.
These 3: Visionen haben keine Chance, solange die Entscheidungsmacht bei den alten Systemen liegt. Deshalb wird das Bildungssystem untergehen.
Wo es darum geht unsere Entwicklung, unser Handeln und unsere „Bewegungen“ zu kontrollieren, also vor allem in Bildung, Arbeit und Konsum, wird die Illusion aufrecht erhalten, dass der digitale Wandel gar nicht die Radikalität hat, mit der er sich jedoch an allen anderen Orten und in allen anderen Zusammenhängen längst zeigt.
Wenn jetzt einige versuchen auszusteigen, der Referenzpunkt aber die Mehrheit bleibt, die am Alten festhält, dann steigen Druck und Angst bei den Beteiligten (Lernende, Arbeitende), dass sie sich womöglich selber abhängen, weil: „ohne Noten kein Abschluss“ oder „ohne Zertifikat keine Karriere“ – so die nach wie vor krassen Befürchtungen. Deshalb entscheiden sich ja bis heute fast alle für das Kontinuum.
Kürzlich habe ich auf linkedIn eine Gruppe entdeckt, die online über notwendige Veränderungen nachdenkt, damit die Schule der Lebens- und Arbeitswirklichkeit der Menschen gerecht wird. Hier der Beitrag eines Schulleiters:
Wenn solche faszinierenden und zukunftsfähigen Überlegungen Eingang in die Schulpraxis finden würden, hätte die nichts mehr gemeinsam mit dem, was wir bis heute unter Schule verstehen. Zugleich tritt so eine Vision klar in Konkurrenz zum bestehenden System, das sich den Erhalt des Status Quo zur Aufgabe macht – politisch ebenso wie strategisch, pädagogisch ebenso wie in Fragen der Organisation.
Am Ende von visionären Dialogen steht deshalb jeweils ein „Wir würden schon, wenn wir dürften.“ Dabei wird es solange bleiben, als der Referenzpunkt für schulische Normalität politisch, juristisch und strukturell beim Erhalt des Traditionellen liegt. Und da die Pionier*innen Angehörige des „alten Systems“ sind, die nicht nur bei ihm in Lohn und Brot stehen, sondern ihm gegenüber auch eine juristische Verpflichtung zur Loyalität haben, endet die visionäre Umsetzungskraft jeweils vor ihrer Verwirklichung. Deshalb vermute ich, mit Bezug auf die Disruption anderer großer Systeme in der Vergangenheit, dass auch das Bildungs- und darin das Schulsystem in naher Zukunft als solches verschwinden wird. Nicht nur weil es sich auf der normativen Ebene konsequent der Veränderung verschließt, sondern weil es durch diese Haltung selber dafür sorgt, dass es im Verlauf der disruptiven Entwicklungen unserer Kultur überflüssig wird.
Niemand schafft das Bildungssystem ab – außer das Bildungssystem sich selber.
These 4: Die Einschläge kommen näher.
In Sachen Beruf, Arbeit und Wertschöpfung kommen die Einschläge immer näher. Ein Beispiel dafür ist der längst vollzogene Siegeszug der „Plattformökonomie“. Wenn ich die Meldungen dazu verfolge (eine gute Quelle ist die linkedIn-Seite von Dr. Holger Schmidt), erkenne ich, dass die Paradigmen, nach denen Ökonomie und Arbeit sich global organisieren, bereits völlig andere sind als die der nationalen Arbeitsmärkte in D-A-CH.
Wirtschaftlichen Erfolg hast du da als Anbieter von Produkten und Arbeitskraft nur noch, wenn du in irgendeiner Form Teil einer der großen Plattformen bist und dich dort mit wichtigen Playern vernetzt. Hinzu kommt, dass weltweit längst viele weitere, für den Menschen in seiner/Ihrer Lebenswelt relevante Handlungsfelder in den Sog der Plattformökonomie geraten sind: Wissenschaft und Forschung, ökonomische und gesellschaftliche Anwendung von Forschungsergebnissen, Standortpolitik, Finanzierung und Aufbau sozialer und technischer Infrastruktur vor allem in den zukunftsrelevanten Bereichen.
In dieser sich immer schneller beschleunigenden Entwicklung verändert sich eines ganz fundamental: das „Normalarbeitsverhältnis“, das für sehr viele Menschen in D-A-CH noch immer Alltag ist – womöglich weil sich der zugehörige Arbeitsmarkt nach wie vor in Sicherheit wähnt. Das lassen die Zahlen zur „digitalen Reife“ von Unternehmen in D-A-CH vermuten (für die Schweiz hier eine Studie, für Deutschland hier).
Die Politik als staatliche Gestaltungsmacht tut währenddessen, was sie immer tut, und zwar nach den Regeln, an den Orten und in den Zeiten, in denen sie es schon immer getan hat, ohne zu realisieren, dass sich die Bedingungen, unter denen heute Politik stattfindet, völlig verändert haben, wie ein Blick in die digitalen, sozialen Medien zeigt. Die haben geltende politische Regeln und Prozesse längst ad absurdum geführt, wenn z.B. der Präsident der USA über Twitter regiert, und wenn die Schattenpolitik der Geheimdienste rund um den Globus durch die mittlerweile grenzenlosen Möglichkeiten der Digitalisierung unkontrollierten Zugriff auf alle Daten- und Informationen haben und in deren Produktion und Verwendung eingreifen können, wie die Lektüre von „Das neue Spiel“ eindrücklich aufzeigt – während die Wahlurnen immer mehr zu politischen Zeitbomben werden, weil rechte Kräfte erkannt haben, dass sie mit ihrer Hilfe die Parlamente fluten können.
Rechtsstaatliche Prinzipien wie Daten- und Persönlichkeitsschutz sind längst digital ausgehebelt, aber die Konsequenzen daraus sind für mich als Mensch und Bürger noch nicht fassbar oder spürbar. Die Rufe der Datenschützer fühlen sich an wie das „Warnung vor dem Hund“-Schild, an dem wir seit Jahren täglich vorbeigehen, ohne je einen Hund gesehen oder gehört zu haben.
Dessen ungeachtet sind unsere Gesellschaften im Sinne des sozialen Miteinanders längst durchsetzt mit den Möglichkeiten der digitalen Interaktion und Kommunikation. Soziale Gefüge und Bezüge organisieren und interpretieren sich jetzt im Moment völlig neu. Alle Vollzüge des öffentlichen und privaten Raumes und Lebens – ausgenommen die Organisation von Bildung – werden sukzessive durch digitale Prozesse verändert bzw. „übernommen“: Das ambulante und stationäre Gesundheitswesen, das Bank- und Versicherungsgewerbe, der Handel und der damit verbundene Konsum, die Organisation der privaten Beziehungen. Selbst „Nachbarschaft“ wird zu einem digitalen Phänomen, weil die Musik halt im Netz spielt.
These 5: Nur die Macht wachsender zivilgesellschaftlicher, digitaler Netzwerke kann die Zukunft immer humaner machen.
Photo: Christoph Schmitt. Steingarten an der Rosenlaui-Schlucht im Berner Oberland
Wir kommen nicht mehr drum herum, die Macht des Digitalen für die Humanisierung der Welt in ihrer ganzen Heterogenität als Lebensraum der Vielen zu nutzen. Das Netz muss der Raum werden, in dem wir Wissen und Informationen konstruieren, indem wir die „Macht der Query“ (vgl. Seemann: Das neue Spiel) für unsere Anliegen nutzen; indem wir Aufmerksamkeit schaffen und kollektiven Impact für Schutz und Rettung der natürlichen Lebensgrundlagen, neue Erzählungen und Sprachspiele als Alternativen für Hass, Sexismus, Rassismus, Homophobie, Patriachat, Ausbeutung und Wirtschaftssklaverei.
Wir begreifen Digitale Netzwerke nicht länger nur als Highways, auf denen wir uns und unsere Waren und Meinungen zwischen A und B hin und her schieben, sondern realisieren, dass sich Zukunft im digitalen Raum entscheidet und realisiert, weil dort alles ist: Das Wissen, die Informationen, die Menschen aus nah und fern, die Erfahrungen der Vielen, die Daten, das Geld, die Macht. Wir nutzen das Netz nicht mehr länger als Medium, sondern als Handlungsraum, in dem wir Zukunft gestalten, sprich: eine gestaltende Macht bilden.
Da können dann alle mitmachen und sich gleichzeitig leiten lassen von den Überzeugungen der Menschenrechte und der goldenen Regel. Alle, die guten Willens sind und mit einer Vision unterwegs. Das Netz ist der Raum, in dem wir eine Zukunftsdemokratie entwickeln, an der alle mitgestalten können jenseits der kleinlichen Loyalitätsverpflichungen des analogen Raums: gegenüber Arbeitgebern, Parteibüchern und kulturellen Traditionen, die auf Ausgrenzung und Separation beruhen:
„Der größte Gegner der Zivilgesellschaft ist nicht die NSA, es sind nicht die Plattformen und es ist nicht der Staat, sondern die Zivilgesellschaft selbst. Wir werden lernen müssen, miteinander zu leben, die sozialen Probleme anzugehen und sehr viel mehr Verantwortung zu übernehmen, weil das sonst andere für uns erledigen werden“ (Quelle).
Im ersten Teil zum Thema LearnLabs habe ich mich an diesen Begriff herangetastet. Sie finden den Artikel hier. Jetzt geht’s um Vertiefung: Wodurch unterscheiden sich LearnLabs von Schule? Warum sollte ich da mitmachen?
LearnLabs sind Orte, Communities, Projekte, in denen das Lernen selbst Gegenstand der Erforschung wird – und zwar nicht „das Lernen ganz generell“, sondern das Lernen derer, die diese Communities bilden: Die Colearner sind ihr eigener Forschungsgegenstand – mit Fokus auf das faszinierende Phänomen des Lernens. LearnLabs sind Räume, die sich in dem Moment bilden, wenn Menschen damit anfangen. LearnLabs sind also keine präparierten Räume, die dann lernenden Menschen zur Verfügung gestellt werden.
Wir wissen nicht, wie Kinder lernen. „Wir wissen nur, daß Lernen mit Freude, Aufregung und großer Geschwindigkeit stattfindet, sobald eine für das Lernen günstige Umgebung vorhanden ist.“
Es geht darum, mit dem eigenen Lernen und mit dem der Community zu experimentieren – entlang der Themen und Anliegen, die im Verlauf dieser Prozesse entstehen. Es geht um zwei zentrale Bewegungen und Dynamiken des Lernens:
Exploring. Sich nicht auf ein nächstes Kapitel gefasst machen, das schon geschrieben ist, sondern auf das Neue, das geschrieben werden will: Jeden Stein umdrehen, noch einen Schritt weiter gehen. Sich alle Zeit der Welt nehmen um in das Unbekannte und nicht Gewusste einzutauchen, um es dadurch für sich zu erschaffen.
Discovering. Nicht das Lupfen des Deckels vom Kochtopf oder das Auspacken eines Geschenks. Nicht am Fließband des Erwartbaren ansetzen, nicht am (Gaben-)Tisch sitzen und der Lüftung eines inszenierten Geheimnisses harren. Discovering ist keine Erwartungshaltung, sondern im Gegenteil eine Suchbewegung.
Warum mache ich bei einem LearnLab mit?
Wer diese beiden Grundhaltungen entdecken und bei sich selbst ausbauen möchte, wer Lust auf Expedition und Experiment hat, ist in einem LearnLab genau richtig. Egal in welchem Alter, mit welcher Ausbildung und Herkunft. Entscheidend ist die Haltung gegenüber dem Lernen: Menschen tun sich aus Interesse und Neugier am Lernen nicht in, sondern zu LearnLabs zusammen, weil sie herausfinden wollen, was es mit dem Lernen auf sich hat, und wie sie sich die Welt damit erschließen.
Anyone who has no desire to learn should have no involvement in the learning of others.
Daniel Greenberg
Im LearnLab geht es darum herauszufinden, wir wir Lernen für uns und für unsere Entwicklung (neu) definieren und gestalten im Kontext unserer bestehenden Lern- und Arbeitsumgebungen – und wie wir es einsetzen, wenn es ganz in unserer Hand liegt. In der LearnLab-Idee braucht Lernen keine designten Umgebungen, in denen wir uns durch Lernen auf „die Welt da draußen“ vorbereiten, denn wir sind ja schon in dieser Welt, die wir einfach nach und nach entdecken: Exploring & Discovering. Welt ist eine Umgebung, in der ich mich stets bewege, bzw. mit der ich bereits vernetzt bin, und die ich in diesen LearnLabs entdecke, mitgestalte und mitpräge – und zugleich damit entdecke, gestalte und präge ich eben auch deren Systematik und Logik. Ich bringe mir die Welt bei und mich der Welt. Lern-, Lebens- und Arbeitswirklichkeiten tauchen in LearnLabs also nicht in pädagogisch-didaktisch aufbereiteter Form auf, sondern als solche: wie sie sich denjenigen zeigen, die sich aufmachen, sie zu erforschen.
Wie unterscheiden sich LearnLabs von klassischen Lernformaten?
LearnLabs sind ganz grundsätzlich keine „Lernformate“. Sie sind unformatiert. Die leitende (Forschungs-)Frage, die ein zentraler Bestandteil der LearnLab Idee ist, lautet: Was kommt zum Vorschein, wenn die traditionellen Überzeugungen, Strukturen und Prozesse der Beschulung nach und nach wegfallen? Wie reagieren die unterschiedlichen Rollen, Berufs- und Bezugsgruppen, die Funktionsinhaber und Verantwortungsträger in einem LearnLab? Wie und wohin verändern sie sich? Wo solche Fragen relevant werden, wo sie Gegenstand des Alltags und der Reflexion sind, da sind wir mitten in der Arbeit an einem neuen Lern- und Bildungsparadigma – konkretisiert in LearnLabs.
Das Motiv dahinter lautet: Weil jede und jeder von uns vollgepackt ist mit Prägungen, Erfahrungen, Überzeugungen, Rollenbildern und Vorstellungen zu Lernen, Schule und Bildung, soll zumindest der Raum, den Menschen gemeinsamdadurch erschaffen, dass sie sich auf den Weg in ein neues Lernen machen, noch nicht formatiert, noch nicht präpariert sein, sondern eine „Blank Canvas“. Und je größer die Heterogenität derer – hinsichtlich Alter, Bildungsbiografie, Beruf u.v.m. –, die ein LearnLab kreieren, umso größer ist die Chance, tatsächlich neue Räume zu erschaffen. „Partizipation“ – aber nicht im klassischen Sinn von Teilhabe an etwas Bestehendem („nach Einschulung folgt Beschulung“), sondern so, dass durch Partizipation erst etwas ins Entstehen kommt, das ganz wesentlich aufgrund meines persönlichen Beitrags zu dem wird: neue Lernwelten, neue Lernerfahrungen, neue Lerngemeinschaften.
LearnLabs entstehen in den Köpfen der Menschen dadurch, dass sukzessive all jene strukturellen Markierungen, all jene „Formatierungen“ wegfallen, die im traditionellen Bildungssystem maßgebend sind, und die wir alle in unserer Biografie als prägend erlebt haben. Erfahrungen, die ich als lernender Mensch in diesen Formaten gemacht habe:
Das Format des Unterrichts und des Unterrichtens und damit das Denken, Planen und Handeln in Unterrichtsentwürfen und -verläufen
Die Taktung von Lehrprozessen in Lektionen
Die Einteilung lernender Menschen in Jahrgänge
Die Bildung von Klassen
Die Strukturierung von Lernpozessen und Lerninhalten durch das System der Fächer
Die Ausrichtung an einem Curriculum
Lern- und Kompetenzziele
Schule als Angebots-, Auswahl- und Vermittlungsformat
Führung und Kontrolle der Prozesse auf Lerner’innen-, Gruppen- und Lehrer’innen-Ebene (Anwesenheit, Verhalten, „Mitarbeit“, Prüfungen aller Art)
Was institutionelle Lern- und Bildungsformate bisher ausmacht, verschwindet im LearnLab durch gelebte Lernpraxis nach und nach aus den Köpfen und aus dem Leben lernender Menschen, die sich bei diesem Emanzipationsprozess dadurch gegenseitig unterstützen, dass sie diesen neuen Weg gemeinsam gestalten. Erfahrungsgemäß ist in der Anfangsphase eine Herausforderung besonders anspruchsvoll:
Das Verlernen der tief in uns allen verankerten pädagogischen Haltung, anderen Menschen dabei zu „helfen“, etwas zu verstehen, zu können, zu schaffen, zu erreichen, zu überwinden.
Es braucht weder Fährtenleger („Lies doch mal dieses geniale Buch hier, mein Kind“), noch Spürhunde, die irgendwie steuernd in die Richtung oder in das Tempo von Lernprozessen anderer eingeifen. Stellt euch mal vor, was Millionen lernender Kinder und Jugendlicher täglich erforschen und entdecken würden, wenn die sich als Lerncoaches ausgebenden Pädagog*innen diese Prozesse nicht pausenlos unter- und abrechen würden, weil sie aus deren Sicht „in die falsche Richtung laufen“.
Das Versorgen mit Material, mit Vorschlägen und Ideen, („Du könntest doch auch das mal versuchen, mein Kind: Hast du schon mal daran gedacht, oder daran …?“), um die Phasen der Orientierung, der Langeweile, des Nichtwissens vorzeitig (aus pädagogischer Sicht: rechtzeitig) zu beenden und das Lernen aus der Sicht des Fachmanns und der Fachfrau effizienter zu machen. Eine Diskussion und Kritik dieser pädagogischen Grundüberzeugungen finden sich bei Daniel Greenberg auf den Seiten 86-94.
Das sind Versuche, Lernwege und damit das Lernen selbst über pädagogische Interventionen abzukürzen – unter dem Vorwand, es zu „fördern“. In Wahrheit erstickt das die Entwicklung von Selbststeuerung, das behutsame Wachsen von Problemlösekompetenz, das Prinzip des kreativen Umwegs („Serendipity“) und das Entstehen der so wichtigen sozialen Netzwerke des Lernens im Keim. In klassischen Beschulungsformaten ist dieses „pädagogische Intervenieren“ gegenüber lernenden Menschen dem Zeit- und Inhaltsdruck geschuldet. In LearnLabs existiert dieser Druck nicht mehr – außer jemand baut ihn wieder auf. Dann jedoch liegt eine wunderbare Lerngelegenheit vor, diesen Teufelskreis zu durchbrechen – womöglich sogar für einmal ohne pädagogischen Support.
Aus pädagogischer Sicht wird angenommen, „dass es eine ‚Methode‘ für das Lösen von Problemen gebe, und Aufgabe der Schule sei, diese Methode zu lehren. Der Haken daran ist nur, dass diese Grundannahme … falsch ist. Wenn es eine Methode für das Lösen von Problemen gäbe, hätten wir gar keine Probleme mehr.“
Die Idee und das System des LearnLabs kommt also im Weglassen traditioneller Strukturen, Abläufe und Prägungen mehr und mehr zum Vorschein: Lernende Menschen binden und bilden sich als Communities neu und entwickeln Schritt für Schritt Prozesse, die an die Stelle der weggefallenen Vorgaben treten. LearnLabs sind Communities die sich und ihre Aufgaben selbst organisieren: Inhalte, Gegenstände, Prozesse, Kontakte, Auseinandersetzungen. Deshalb geht es in einer ersten, konstituierenden Phase von LearnLabs darum, die Prozesse des individuellen und des gemeinschaftlichen Lernens nach und nach neu zu organisieren.
Die LearnLab Community wird nicht mit pädagogisch-didaktisch aufgearbeiteten Problemstellungen konfrontiert. Die Themen und Anliegen ergeben sich aus der Selbstorganisation des LearnLab. Ein LearnLab bringt sich selbsttägig zum Funktionieren, und die LearnLab Community entscheidet autonom darüber, welche Aufgaben sie sich selber stellt und wie sie die löst. Wir treten als LearnLab an, um Probleme zu lösen, die wir selber als solche und als dringlich erkannt haben, und zu deren Lösung wir konkret etwas beitragen können und wollen. Zu diesem Zweck müssen wir uns organisieren. Sociocracy ist dafür ebenso ein bewährter Ansatz wie die Themenzentrierte Interaktion.
LearnLabs bilden, designen und organisieren sich also selbst um thematische Anliegen herum, die von den Communities selber formuliert und entwickelt werden. LearnLabs existieren zu dem Zweck, dass die Colearner, die ihre LearnLabs gemeinsam designen, bevölkern und am Leben erhalten, ihre thematischen Anliegen finden, entwickeln, schärfen, präzisieren, bearbeiten und verändern.
Dies geschieht durch den Aufbau eines Netzwerks als eines der zentralen Anliegen des LearnLabs: Netzwerk-Funktionalität als der Funktions-Modus in Gegenwart und Zukunft, als die Basis aller Prozesse, in denen wir Zusammenleben und Gemeinschaftlichkeit gestalten.
LearnLabs haben also keinen Auftrag von außen oder oben, konkrete, substanzielle Ergebnisse vorzuweisen (Prüfungen, Werkstücke, Firmengründungen, Produkte). Solche Dinge sind selbstverständlich möglich aber nicht vorausgesetzt. Die Idee des LearnLabs ist nicht, dass Communities oder einzelne Mitglieder am Ende irgendeines „Zyklus“ zu prüfende Resultat vorweisen.
Im Kern geht es darum, Lernprozesse zu gestalten und diese Prozesse gemeinsam und individuell zu reflektieren. Lern- und Entwicklungswege sichtbar zu machen und zu dokumentieren und (auch) zu diesem Zweck eine Community zu bilden, um für mich selbst, vor mich selber und für einen Kreis von Menschen in meinem Lernen sichtbar zu werden – in einem wachsenden digitalen Netzwerk.
Im Zentrum („Fokus der Aufmerksamkeit“) eines LearnLab stehen die Prozesse und ihre Reflexion. Inhalte (vormals Lehr- und Stoffpläne) und Ergebnisse sind für das Design des LearnLab nicht relevant. Die Frage, „was“ Menschen dort lernen, wird nicht über Inhalte, Themen, Fächer, Lehrpläne und Lernziele beantwortet, sondern über die Prozesse. Lernen ist nicht mehr „verzweckt“ und als Methode verstanden, mit der ich mir Content einverleibe.
Die Communities gestalten ihre Forschungsprozesse so, dass sie sich nach und nach mit gesellschaftlich und ökonomisch relevanten Akteuren vernetzen. Sie werden selber zu verlässlichen Netzwerkpartner*innen (einzeln, in Teams und als Lab), die sich mit ihren Partnern vernetzen: so wie sie es für ihre Prozesse brauchen – immer auf Gegenseitigkeit angelegt: Netzwerke bilden, Netzwerke unterstützen, von Netzwerken profitieren. LearnLabs bringen ihre Erkenntnisse und „Forschungsergebnisse“ über das Lernen, Designen, Gestalten und Problemlösen in Netzwerke ein und profitieren von anderen Teilgebenden und deren Erkenntnissen in diesen Netzwerken. So entsteht nach und nach eine Forschungs-Community zum Thema „Leben, Lernen und Arbeiten im D igital Age“.
Es geht nicht um eine „Vernetzung mit der Welt“, sondern um die zunehmende und nachhaltige „Vernetzung der Welt“.
Das ist also ein weiteres Ziel von LearnLabs. Indem LearnLabs und ihre Gestalter*innen zu verlässlichen Netzwerkpartner*innen von verlässlichen Netzwerkpartner*innen werden, entwickeln sich LernLabs zu bedeutsamen Netzwerkknoten in einem zivilgesellschaftlichen Netz.
Erste Schritte: Satelliten losschicken
LearnLabs können als autonome Forschungs-Satelliten klassischer Mutterschiffe (Schulen, Hochschulen, Schulgemeinden) starten. Versorgt werden sie in der Startphase mit dem, was sie zum Überleben brauchen: Raum, Strom, Devices, Internet, wo/man-Power, die vom LearnLab selbst bei Bedarf abgerufen werden, also nicht im Sinne der klassischen Lehre und Vermittlung, sondern im Sinne einer Dienstleistung, die Learn Labs in Anspruch nehmen, um bei der Lösung konkreter Probleme einen Schritt weiter zu kommen. Das können auch Menschen aus allen möglichen gesellschaftlichen und ökonomischen Kontexten sein, die idealerweise über ein digital vernetztes Kommunikationsnetzwerk mit dem LearnLab verbunden sind.
Über die aktive Vernetzungsarbeit als eines der Kernanliegen von LearnLabs sind diese nicht nur ständig Teil eines wachsenden Netzwerkes von Expert*innen und Problemlöser*iinnen. Sie sind dadurch auch für ihr Mutterschiff offen und transparent, informieren und sind informiert, machen ihre Prozesse und Reflexionen sichtbar, inspirieren und werden inspiriert.
Altersdurchmischung ist unsere ‚“Geheimwaffe“. Es ist bei weitem nichts übernatürliches. Das Ausmaß an Lernen und gegenseitiger Unterstützung und Inspiration, die dabei stattfinden, widerstrebt jeder Messung.
Wie setzt sich die Community zu Beginn zusammen? Eine gute Mischung aus allen Altersgruppen des Mutterschiffs (oder aus anderen Kontexten), aus Talenten, Charakteren und Temperamenten, Interessen, Neigungen und Fähigkeiten, die über ein Self-Assessment die Pionier Community bilden. Es besteht jederzeit für Interessierte die Möglichkeit, entsprechend den vom LearnLab entwickelten Rahmenbedingungen, für eine gewisse Zeit ein Teil der LearnLab Community zu werden, sich in einer zu bestimmenden Form der Verbindlichkeit als Teil dieser Community wahrzunehmen und sie mitzugestalten.
Einen intensiven und sehr informativen Film zur Thematik gibt’s auf vimeo:
Wir schieben den Diskurs in Richtung Zukunft an und bringen dazu unser Wissen und unsere Erfahrungen zusammen. Wir nutzen dazu den Mehrwert der Gruppe – und bringen ein neues Format des Gesprächs voran: Online über geographische Grenzen hinweg.
Wir arbeiten alle auf unsere Weise an der Überwindung von Ängsten, Vorbehalten und Widerständen gegen die Veränderungen im Kontext der Digitalen Transformation. Wir bringen anthropologische Aspekte und Impulse aus der Lerntheorie ins Spiel, sprechen über den Beitrag der Soziokratie und des BetaKodex Netzwerks für die Gestaltung von Organisationen und diskutieren über den radikalen Paradigmenwechsel im Lernen und Arbeiten.
Warum machen wir das?
Wir schieben den Diskurs in Richtung Zukunft an und bringen dazu unser Wissen und unsere Erfahrungen zusammen. Wir nutzen dazu den Mehrwert der Gruppe – und bringen ein neues Format des Gesprächs voran: Online über geographische Grenzen hinweg.
So lautet ein Fazit des Start Up Gründers Nils Reichardt, den Rona van der Zander in ihrem Podcast interviewt hat zu seinen Erfahrungen an den Schnittstellen von Schule und allem, was es sonst noch gibt im Leben. Im Gespräch kommt zum Ausdruck, warum es da einen krassen Unterschied gibt – und was es statt Schule eigentlich braucht, um zukunftsfähig zu werden als junger Mensch. Selten habe ich eine so klare Analyse gehört, wie hier von einem Vertreter jener Generation, die für die Zukunft steht. Hellwach, unaufgeregt, kompetent.
Nils ist 17 Jahre alt und erfolgreicher Gründer. Bei „Start Up Teens“ haben er und sein Team mit der Schulapp „Sharezone“ gewonnen – die App ist seit kurzem in der Open-Beta mit bereits +1.200 registrierten Nutzern. Im Podcast geht es um die Frage, vor welchen Herausforderungen junge Gründer stehen und woher sie sich die erforderlichen Fähigkeiten für ihr Start Up geholt haben.
Wir haben ein Problem. Wir lösen es.
Alles beginnt damit, dass ein paar Leute vor einem Problem stehen, das sie nervt, und sie tun alles, um möglichst rasch für dieses konkrete Problem eine Lösung zu finden. Ich würde meinen, das ist „Entrepreneurship from scatch“.
Zu diesem Zweck bringen sie sich jetzt all das bei, was sie brauchen – und zwar selber und in Windeseile. Erwähnenswert: außerhalb der Schule, und also für viele noch immer „in Konkurrenz“ zu dem, was in diesem Alter für sie wichtig sein sollte („Mach einen guten Abschluss, Kind!“). Dieses Argument hören wir ja seit den FridaysForFuture wieder alle Nase lang.
Die Gründer sehen sich also damit konfrontiert, dass sie auch Lösungen für jene Probleme entwickeln müssen, die bei der Lösung des Problems erst auftauchen: Konfligierende Zeitbudgets und unterschiedlichen Systeme unter einen Hut zu bringen, die so gut wie nichts gemeinsam haben: Hier das Mindset Schule, dort die Dynamik der Start Up Welt. Konkret erläutert Reichardt diese Herausforderung am Beispiel des Datenschutzes – der ist ja bekanntlich die Innovations-Guillotine des gesamten Bildungssystems.
Wie unterstützt Schule bei so einem Projekt?
Unterstützung kommt offenbar nicht so sehr von der Schule als aus der start-up-Ecke – und auch nur dann, wenn sich die Initianten konsequent selber darum bemühen, und zwar in ihrer „Freizeit“ – obwohl sie ein Berufskolleg besuchen mit dem Schwerpunkt Mathematik und Informatik. Nach Aussage von Nils Reichardt bestand die Unterstützung des Lehrkörpers vor allem darin, sie auf die Probleme hinzuweisen, die mit einer solchen App aus Sicht der Lehrerschaft verbunden sind. Was tun die Gründer? Sie bauen diese Informationen geschickt in ihr Projekt ein, indem sie aus ihren Lehrern kurzerhand Kunden machen, die sie in den Entwicklungsprozess einbeziehen – wie im richtigen Start Up Leben auch.
Was lernt ihr eigentlich bei so einem Projekt?
Die Aufzählung klingt vielfältig und so gar nicht einseitig: Ideen präsentieren können, netzwerken, sich auf entsprechenden Events umsehen und umhören, sprich: sich informieren, mit Experten ins Gespräch kommen, Projekte planen, Programmieren, sich Wissen im Internet besorgen, online-Kurse belegen. Nils Reichardt empfiehlt hierzu ganz konkret das Angebot des Hasso Plattner Insituts und das von udemy.
Diese vom Fachjargon zu den „Kernkompetenzen des 21. Jahrhunderts“ gezählten Fähigkeiten bringen sie sich also nicht nur außerhalb der Schule in ihrer „Freizeit“ selber bei. Sie lernen es nach eigenen Aussagen auch viel schneller als im regulären Schulbetrieb, weil sie es unmittelbar und konkret anwenden können und deshalb auch (oder erst) einen Sinn hinter dem sehen, was sie lernen müssen, um so ein Projekt erfolgreich zu machen. In der Schule hingegen sei „sehr oft nicht klar, warum man Sachen lernt“, so Reichardt im Gespräch.
Aber Schule macht doch auch Gruppenarbeiten?
Auch hier winkt Reichardt ab: Die Art von Gruppenarbeiten in der Schule hätten nichts mit dem zu tun, was du in einer Gruppe tust, wenn du ein solches Projekt durchziehen willst. Das sei etwas komplett anderes – und auf einer ganz anderen Ebene.
Wichtig für das reale Projekt sei, dass man professionell kommunizieren kann, z.B. im Kontext der Aufgabenverteilung: dass der andere genau weiß, was gemeint ist – und das hat bei uns „in der Schule nicht so sehr eine Bedeutung“. Dort hätten Gruppenarbeiten eher eine Alibi-Funktion, und du wirst vom Lehrer in eine Gruppe gesteckt, „damit du jetzt halt mal Gruppenarbeit machst“. Wenn ich hingegen erfolgreich ein Produkt entwickeln und zur Marktreife bringen will, komme es vor allem darauf an, sich in den Kompetenzen gegenseitig zu ergänzen und auf diesen Kompetenzen aufzubauen. So komme man auch viel schneller voran.
Statt eine Traumschule zu entwickeln ist lebenslang lernen angesagt
Von Rona befragt, wie für ihn eine ideale Schule aussehen würde, antwortet Reichardt: Viel wichtiger sei – noch vor der Frage, wie sich Schulen und Hochschulen verändern müssten, dass der Mensch sich und seine Denkweise verändert und erkennt, dass das lebenslange Lernen entscheidend ist. Gerade jetzt, wo sich alles exponenziell entwickelt. Es komme jetzt und in Zukunft darauf an, extrem viel in kurzer Zeit zu lernen. Gemeint ist damit aber offenbar nicht der Bulimie-Modus, in dem das gymnasiale Bildungssystem bis heute funktioniert. Vielmehr geht Reichardt davon aus, dass die Entwicklungen der realen Welt eine hohe Agilität und Anpassungsfähigkeit von uns verlangen – also nicht die Fähigkeit, in kurzer Zeit viel Wissen runter zu würgen, um es bei Tests unverdaut wieder auszukotzen (wie ich das formuliere). Für Reichardt haben viele noch immer das falsche Mindset im Kopf: „Ohje, ich muss schon wieder was Neues lernen.“, statt: „Oh cool, ich kann wieder was Neues lernen.“
„Nicht so limitiert sein im Kopf“
So lautet Reichardts Appell. Auch mal nach links und rechts schauen, kucken, was bei anderen los ist. Als Lehrer nicht einfach straight den eigenen Unterricht durchziehen für die nächsten 20 Jahre – was ja auf alle anderen Bereiche/Berufe übertragen werden könne.
Es klingt einfach. Und doch scheint es zum Schwersten überhaupt zu gehören, die Limits im eigenen Kopf hinter sich zu lassen. Diese Mantras, mit denen Schule ihren Kopf aus der Schlinge zieht. Die Refrains, die wir zur Genüge kennen: „Wir müssen alle mitnehmen.“, oder: „Das hier sind die großen Ausnahmen.“ Umso mehr war ich froh, in einem Gespräch mit Rona van der Zander und Aileen Moeck wieder einmal zu hören, dass es eigentlich nicht die Schüler’innen sind, an denen Projekte scheitern, und auch nicht die Schüler’innen, die an Projekten scheitern. Sehr viele junge Menschen scheitern an den Vorstellungen derer, die ihnen etwas zutrauen – und viel zu oft eben nichts. Es fällt noch immer sehr vielen Lehrenden und Erziehenden ungemein schwer zu akzeptieren, dass die krasse Mehrheit junger Menschen ihnen in ganz Vielem voraus ist. Vielleicht wird nur schon diese Möglichkeit als Kränkung der eigenen beruflichen oder elterlichen Identität erlebt. Hören Sie rein in das Interview, es lohnt sich:
Titelbild: Der Schwarm. Sinnbild für funktionale Dynamik und Emergenz, die in kollaborativen Prozessen stecken. (Quelle)
Aktualisiert am 24.12.2020
Bis heute gehen wir in Schule, Ausbildung, Studium und Arbeit davon aus, dass wir „Leistung“ einzelnen Menschen zuordnen können und müssen. Über die komplette Schul- und Berufszeit hinweg werden wir individuell benotet und bewertet – von Lehrer:innen & Vorgesetzten, die uns dadurch von konkurrierenden Individuen separieren. Einen Job bekommen wir, weil wir „Einzelleistungen“ dokumentieren, Beurteilungen von Mitarbeiter:innen fokussieren auf deren individuelle Leistungen.
Dieses Modell hat ausgedient.
Auch wenn unsere Schulen das nach wie vor ganz anders sehen. Gefordert und gefördert, benotet und anderweitig sanktioniert werden im Schulsystem immer Individuen, einzelne Menschen. Auch dort, wo Schulen unter starken Geburtswehen Anteile selbstorganisierten Lernens gebären, stehen der und die einzelne Lernende weiterhin im Zentrum von Bewertung. Obwohl „Selbstorganisation“ ein Merkmal von Systemen ist, wird es gleichgesetzt mit isoliertindividuell bewertbarem Lernen und dessen Ergebnissen. Auch das Kultphänomen der Kompetenz wird stillschweigend als etwas verstanden, das Ausdruck von Dispositionen eines einzelnen Menschen ist: Wir beobachten und beurteilen in schulischen Kontexten „Einzelleistungen“.
Überall dort, wo über Formen und Formate der Qualifizierung, des Prüfens und „Messens“ erbrachter Leistungen reflektiert wird, kommt also ausschließlich das Individuum in den Blick. Auch wo kollaborative Prozesse stattfinden, wird Beurteilung am Ende immer am Individuum und an „dessen Beitrag“ festgemacht. Wir können nicht von dem absurden Versuch lassen, Einzelleistungen „herauszurechnen“.
Wertschöpfung ist definitiv kollaborativ geworden
Diese Vorstellung entspricht schon lange nicht mehr den realen Prozessen in Forschung, Entwicklung, Produktion, Verkauf, Logistik – und was es da sonst noch so gibt an Prozessen der Wertschöpfung. Weder hier noch beim „Lernen“ finden wir irgendwo isolierbare Leistungen eines Individuums, sondern ausschließlich kontextuelle und systemische Prozesse.
Der kontextuell-systemische Zugang zu Lernen & Arbeiten geht also umgekehrt vor wie unser Schulsystem: Sowohl Prozesse des Lernens als auch solche, in denen es dezidiert um ökonomische Wertschöpfung geht, werden umso besser erfasst und beschrieben, je mehr sie als kollaborative und ko-kreative Prozesse verstanden, aufgegleist, organisiert, durchgeführt und begleitet (gecoacht) werden. Der Beitrag des/der Einzelnen ist einer Teamleistung nicht „vorgeschaltet“. Die Leistung ergibt sich vielmehr aus den Formen der Kollaboration. Das zu Grunde liegende Phänomen ist die Emergenz:
„Das Entstehende kann nicht mehr zurückgeführt werden auf das, woraus es entsteht.“
Leistung ist nicht die Summe von Beiträgen mehrerer Individuen. Sie geht aus einer bestimmten Qualität von Kollaboration hervor, die auch den beteiligten Individuen erst ermöglicht, einen entsprechenden Beitrag zu leisten. Der individuelle Beitrag kann am Ende nicht mehr „herausgerechnet“ werden. Leistung und ihre Erbringung ist in soziotechnischen Systemen (Organisationen, Firmen, Abteilungen, Schulen) ein durch und durch kontextuelles Phänomen: Der Kontext entscheidet über die Qualität von Prozessen, und er entscheidet auch über die konkreten Möglichkeiten einzelner Personen, einen sinnvollen Beitrag zu leisten. Das hat umfassende Konsequenzen für die Organisation schulischen Lernens und Prüfens, die heute noch völlig auf das Individuum fokussiert sind, und die das Erbringen von Leistung auf ein individuelles Abprüfen in weltfremden Settings reduziert.
Der Kontext ermöglicht dir, eine Leistung zu erbringen.
Der systemische Blick auf den Menschen zeigt, dass ich in bestimmten Kontexten nur einen sehr kleinen Zugriff auf meine Ressourcen habe, in einem anderen Kontext aber vor Einsatz und Kompetenz nur so sprühe. Kontexte bestimmen über Möglichkeiten und Grenzen individueller Leistung – nicht umgekehrt.
Auch macht es keinen Sinn mehr, übergeordnete Qualifikationen festzulegen (auch keine Kompetenzen-Raster), die über alle konkreten, heute und in Zukunft möglichen Formen der Kollaboration hinweg Bestand haben sollen, und die überall eingesetzt werden könnten. Das macht deshalb keinen Sinn, weil es die jeweiligen Lern- und Arbeitskontexte sind, die über die Entwicklung und den Einsatz von Fähigkeiten und Kompetenz entscheiden.
In dieser Sichtweise werden auch herkömmliche Bewertungsformate und -muster (Prüfungen, Benotungen, Beurteilungsgespräche oder gar Arbeitszeugnisse) hinfällig. Sie können nämlich das, worum es bei Bildungs- und Arbeitsprozessen heute und in Zukunft geht, nicht erfassen – und messen können sie es schon gar nicht.
Eine Alternative: 360° Assessments
Wenn institutionalisierte Lernorte (aka Schulen) und ihre Agent:innen von der, von dem und von den Lernenden aus denken und handeln, wenn sie darüber hinaus die Potenziale unterstützen, die im kollaborativen und kokreativen Lernen stecken, dann kommen Perspektiven in den Blick, wie z. B. das Lernparadigma von Learnlife. Hier werden Forschung und Praxis der 360° Assessments eingesetzt und weiterentwickelt. Sie ermöglichen ein Höchstmaß an Individualität, Reflexivität und Wertschätzung für die persönliche Entwicklung von Menschen, die sich nicht mehr in Lehrende und Lernende unterteilen. Sie begreifen sich vielmehr als Gestalter:innen ihrer eigenen Lernwege, auf denen sie sich gegenseitig professionell unterstützen. Dieser Zugang hat nichts mehr zu tun mit dem, was wir im traditionellen Sinn unter „Prüfen“ verstehen. Wer darüber mehr erfahren möchte, kann sich hier einlesen.
Lohnenswerte Reflexionen über unseren überholten Leistungsbegriff findest du hier und hier. Weiterführende Literatur zum Thema „Kollektive Intelligenz“ hier.
Bildung sieht ihre Aufgabe und ihr Kerngeschäft bis heute darin, Wissen und allenfalls Kompetenzen zu vermitteln. Egal, in welcher Schul- und Unterrichtsform ein Mensch unterkommt: der komplette Apparat ist darauf ausgerichtet, ihm und ihr etwas zu vermitteln. Bis heute hängen wir stärker als der Gläubige an seinem Gott an der irrigen Vorstellung, in der Bildung tatsächlich Wissen zu vermitteln. Und so sieht denn auch die Bildungspraxis aus – vom Kindergarten bis ins Doktorandenseminar: Menschen inszenieren mehr oder weniger lust- und glanzvoll „ihr Wissen“ vor Publikum.
(Wenn Sie übrigens keine Lust haben, diesen elend langen Blog Post zu lesen: Wir veranstalten zu exakt dieser Thematik ein barcamp am 7.6. im Tram-Museum in Zürich. Hier gibt’s mehr darüber.)
Und das, obwohl wir nicht erst seit gestern sehr ausführlich, präzise und empirisch abgesichert darüber informiert sind, dass Mann und Frau Wissen weder vermitteln noch teilen (noch lehren!) können. Auch Kompetenzen und Fähigkeiten können nicht vermittelt werden. Gleichwohl hält das gesamte Bildungssystem in seiner Praxis und Zertifizierungskultur unbeirrt daran fest. Die Forschungslage zu dieser komplexen Thematik findet sich übrigens in ihrer ganzen Breite und Tiefe hervorragend aufgearbeitet und interpretiert in den Publikationen von Rolf Arnold.
Die Überzeugung von der Wissensvermittlung wird also in sämtlichen gesellschaftlichen Diskursen über Bildung weiterhin verwendet. Gegen alle Empirie. Über das eigentliche Kernproblem einer angesichts der kulturellen, wirtschaftlichen und ökonomischen Herausforderungen täglich scheiternden und gescheiterten Bildung denken wir also gar nicht nach. Stattdessen doktern wir an vielfältigen, zumeist technischen Symptomen herum, schrauben an Lehrplänen und verkürzen und verlängern und verkürzen die Schulzeit. Und dann verlängern wir sie wieder. Wir diskutieren uns die Köpfe wund, wie viel digitale Technologie es nun wirklich braucht oder nicht – und das alles mit dem unveränderten Ziel, „auch in Zukunft eine professionelle Vermittlung von Wissen und Kompetenzen zu garantieren“. Dabei geht es, nach allem, was die Faktenlage zeigt, nicht darum, Vermittlungsprozesse zu modernisieren, sie klientenorientiert zu gestalten, sie zu digitalisieren und zu modularisieren. Es geht darum, sie abzuschaffen.
good old Banksy…
Nicht einmal teilen kann ich mein Wissen
Weder deins noch meins, noch irgendeins. Wissen kann nur konstruiert werden, dekonstruiert und rekonstruiert. „Teilen“ und „mitteilen“ sind Begriffe, die insinuieren, dass ein empirischer, materiell greifbarer Gegenstand, ein „Inhalt“ (Content) portioniert und verteilt wird. Wie bei Gummibärchen: Ich habe eine Packung, und die teile ich jetzt mehr oder weniger fair mit dir und mit dir. Was da hin und hergeht, verändert dadurch nicht seine Qualität. Und genau das ist, wenn es um Wissen geht, die grandiose Täuschung. Wissen ist niemals „faktisch“, niemals „empirisch“, nie objektiv oder unveränderlich. Es steht zu keinem Zeitpunkt „fest“, und es kann nicht transportiert werden. Transportiert, also höchstens übermittelt werden Daten oder Informationen. Die unterscheiden sich aber so grundsätzlich von Wissen wie der Teig vom Kuchen.
Dass Wasser bei soundsoviel Grad Celsius zu kochen beginnt oder zu Schnee wird, oder dass Flugzeuge ab einem bestimmten Steigungswinkel vom Himmel fallen wie ein Stein, dass wilde Tiere gefährlich sind, und manche Schlangen giftig, das alles ist kein Wissen. Wissen ist die Fähigkeit, solche – je nach Anwendungskontext wertvollen – Informationen nutzbar zu machen. Wissen zeichnet sich dadurch aus, dass es immer nur in einem konkreten Kontext konstruiert wird, in dem Menschen absichtsvoll und zielgerichtet kommunizieren und interagieren, in dem sie Probleme erfassen und lösen. Zu zweit, zu zehnt oder alleine. Im Netz, am Lagerfeuer, in der Geschäftsleitung, im Cockpit. Dabei ist „konstruiert“ nicht das Gegenteil von „real“, sondern die Voraussetzung für Tragfähigkeit. Nicht nur bei Brücken.
Kein Wissen ist objektiv oder ewig, weil jeder Kontext zu jeder Zeit unwiederholbar ist. Kein Wissen ist in seinen Kontexten a priori „richtiger“ oder weniger richtig als anderes. Genau aus diesem Grund ist Wissen jederzeit auf qualifizierte Informationen angewiesen. Wer den Zugriff darauf nicht hat, sitzt deshalb womöglich einem „falschen Wissen“ auf, weil ihm wichtige Informationen fehlen (was er oder sie aber nicht merkt, da er oder sie „felsenfest glaubt zu wissen“). So ergeht es zum Beispiel im Moment dem Bildungssystem selbst. Ständig konstruiert es falsches Wissen über das Wesen und das Zustandekommen von Wissen, weil es als System nicht in der Lage ist, wertvolle Informationen zu kontextualisieren. Wer Wissen mit Informationen gleichsetzt, wird den Möglichkeiten und dem Wert des Phänomens „Wissen“ also in keiner Weise gerecht.
Was nützt, weiterhilft, zur Lösung beiträgt, entscheidet sich immer im Kontext und dadurch, wie die Beteiligten diesen Kontext nutzen und gestalten. Ist das, was ich hier schreibe, also ein Wissen? Nein, es ist meine persönliche Erfahrung, und es ist für Sie als LesendeN eine Information, die Sie, in dem Moment, in dem Sie sie lesen, interpretieren, verneinen, bejahen, verwerfen, kontextualisieren, ignorieren, der Sie heftig widersprechen oder etliches mehr. Indem Sie und alle anderen Menschen jederzeit so vorgehen, ganz von alleine, machen Sie aus Informationen kontextbezogenes Wissen. Deshalb können wir Wissen nicht vermitteln. Wir können es nur – mehr oder weniger erfolgreich miteinander konstruieren. Von Fall zu Fall.
Der hierarchische Vermittlungszirkus verhindert kompetente Wissensbildung
Eine nächste, sehr große Herausforderung für unsere Bildungskultur liegt hier: In Kontexten der Wissensarbeit sind wir nach wie vor einem Konzept von Hierarchie verhaftet, das die Bedeutung von Wissen an die Strahlkraft einer entsprechend dekorierten Person oder Institution heftet. Vortrag, Vorlesung, Referat, Buch, Artikel und Beststeller, Key-Note Speech und Podiumsdiskussion sind die Formate, in denen sich diese Kultur niederschlägt.
In solchen Inszenierungen wird jedoch auch kein Wissen geteilt, mitgeteilt oder vermittelt. Auch wenn der Chef, der Vorgesetzte, der Lehrmeister, der Korrespondent oder Innenminister in einem Meeting seine schwergewichtige Meinung kundtut, teilt er oder sie nicht Wissen mit, sondern mehr oder weniger relevante Informationen innerhalb eines bestimmten Kontextes. Hier werden (wie in diesem Artikel, den Sie gerade lesen) ausnahmslos Informationen in den Raum und den Anwesenden zur Verfügung gestellt. Verbal, über Bilder, Töne, Gesten, durch soziale Rollen und Hierarchien – eben durch Kontext. Obwohl wir bis heute ganz selbstverständlich davon ausgehen, dass das, was von so genannten Autoritäten (Lehrern, Hochschulen, Forschungsinstituten) produziert wird, hoch qualifiziertes Wissen ist, handelt es sich dabei allenfalls um wertvolle Informationen. Ob und in wie weit diese Informationen etwas zur Lösung einer Aufgabe beitragen oder ob sie ein Projekt weiterbringen, das hängt von der Fähigkeit des Lieferanten ab, seine Informations-Ware anschlussfähig zu machen, sprich: einen ko-kreativen und und kollaborativen Beitrag zur Wissenskonstruktion zu leisten.
Gleichzeitig gilt: Was Sie und alle anderen, die diese und alle Informationen „empfangen“, daraus in welchem Kontext und in welcher Absicht auch immer machen, wie Sie es einsetzen, umformen, vernetzen, ins Gegenteil kehren oder einfach wieder vergessen – das entscheiden allein Sie.
Wissen ist nicht das Ergebnis von Konstruktion. Es ist Konstruktion.
Wissen wird also in keinem Fall vermittelt oder geteilt. Es wird immer mehr oder weniger erfolgreich konstruiert – aus einem Meer an Informationen, die uns mehr oder weniger attraktiv zur Verfügung gestellt werden. Diese Fähigkeit, diese zentrale Kompetenz im Zeitalter der Digitalisierung, wird in unseren Bildungseinrichtungen nicht gelernt.
Genau hier müssten wir in der Bildung ansetzen. Denn in den äußerst agilen Prozessen der Auseinandersetzung mit Informationen aus allen Ecken und von allen Enden der Welt, konstruieren wir uns unser ganz persönliches, in unserem individuellen Kontext (Leben, Lieben, Arbeiten …) bedeutsames Wissen. Das Subjekt dieser Prozesse sind allein wir. Sie und ich, wir sind unsere eigenen Wissensproduzenten. Außerhalb der Grenzen unserer ganz persönlichen Lebens-, Arbeits-, Lern- und Ideenwelt gibt es kein Wissen. Es gibt nur Informationen und Daten.
Auch wenn Menschen zusammen in Projekten engagiert sind (Regieren, Bauen, Verkaufen, Planen), ist das nicht anders, nur komplexer. Dann muss aus mehreren solcher Wissenswelten eine gemeinsame Basis konstruiert werden, die Kooperation und Kollaboration ermöglicht. Wissen ist dann ein für dieses konkrete Projekt entwickeltes, „kollektives Konstrukt“, an dessen Konstruktion alle Beteiligten beteiligt sind. Eine Zusammenarbeit, die sich dieser Unterschiede zwischen Wissen und Information bewusst ist, und die die irrige Meinung hinter sich lässt, dass es irgendwo auf der Welt oder im Netz objektives Wissen gibt, das nur gefunden und angewendet werden müsste, eine solche Kooperation hat viel mehr Chancen auf Gelingen als eine Gruppe von Menschen, die diesem Irrtum erliegt
Das Vermittlungsmärchen
Vermittler vermitteln Wohnungen, Versicherungen, Partner. Aber niemals Wissen. So wenig wie Erfolg, oder Liebe, oder Sinn vermittelt werden können. Es gibt ein paar Phänomene auf diesem Planeten, die sind nicht vermittelbar. Ich kann Ihnen keinen Sinn vermitteln. Nur Sie können sich den Sinn für Ihr Leben selbst erarbeiten. Und der gilt dann auch nur für Sie. Und wenn sie das mit Ihrem Partner zusammen angehen, dann gilt dieser „Sinn ihrer Partnerschaft“ für Sie beide – für niemanden sonst. So ist das auch mit Phänomenen wie Erfolg, Glück, Liebe und Wissen. Wissen gehört in die Reihe jener Phänomene, die einerseits für unsere Orientierung, für unser Handeln und für unser Gestalten von Welt völlig unverzichtbar sind, die aber andererseits nicht vermittelbar sind. Wir müssen es selber „machen“. Und selbstverständlich gehören da auch eine Menge Informationen dazu, die wir uns von überall herholen – sowie auch die unschätzbar wertvolle Dimension der Erfahrung.
Vermittler stehen deshalb immer dazwischen. So auch wenn sie pädagogisch tätig sind, oder didaktisch und lehrend. Ihnen ist klar, dass sie weder Stoff noch Wissen vermitteln, ja nicht einmal Informationen. Sie vermitteln zwischen dem, was es alles zu sehen, zu entdecken, zu finden, zu prüfen und zu verknüpfen gibt und denen, die sich auf diesen Weg machen. Vermittler vermitteln nicht „etwas“ sondern „zwischen etwas und jemand“.
Sie sind Realitätenkellner, Ressourcenklempner, Coaches. Sie sind Neo-Generalisten, um mit Kenneth Mikkelsen zu sprechen. Das sind relativ neue und sehr interessante Jobs, die gerade erst im Entstehen sind – und die dummerweise weder gelehrt noch vermittelt werden können.