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Colearning-Akademie: Die Schule in deinem Kopf loslassen – und dein Lernen befreien

Wie kommst du ins Lernen, wenn keine Schule in der Nähe ist, die das organisiert und überwacht? Geht das überhaupt? Die Schule in deinem Kopf sagt nein. Ich sage: Doch! Das geht – wenn es dir gelingt die Schule in deinem Kopf loszulassen. Damit nimmst du dein Lernen selber in die Hand. Du lernst so, wie du es brauchst und vor allem lernst du, was du brauchst. Das ist Colearning. Dazu haben wir die Colearning-Akademie ins Leben gerufen. Ich zeige dir die ersten drei Schritte auf dem Weg dorthin:

Erster Schritt: Du entdeckst die Pluripotenz des Lernens

So wenig eine Safari die Teilnehmer:innen auf ein Leben in der Wildnis vorbereitet, bereitet dich eine Schule auf deine Zukunft vor. Das tust du selber. Nicht alleine, aber selber. Egal was Schule mit dir macht oder nicht. Wir Menschen sind vom ersten Atemzug an unendlich adaptiv. Unser Lernen ist und bleibt lebenslang so pluripotent wie Stammzellen. Du kannst und wirst dich immer wieder weiterentwickeln, dich sogar neu erfinden – mitsamt der nötigen Kompetenz. Darauf bereitet dich keine Schule der Welt vor, denn das tust du selber:

Wir Menschen besitzen den evolutionären Vorteil uns lebenslang lernend an neue kulturelle Anforderungen anzupassen. Das haben wir während unserer Schulkarriere vergessen, weil die uns erlaubt oder gezwungen hat, das Lernen als fremdgesteuerten Prozess zu akzeptieren – und es genau dadurch zu verlernen.

Wenn Schule deine Pluripotenz nicht völlig diskreditiert hat, steckt in dir bis heute das Vermögen, dich selbst und die Welt in jedem Moment anders zu sehen und neu zu erfinden. Du besitzt diese Kreativität im Sinne einer Lösungskompetenz. Die ist ein umfassendes Versprechen an deine Zukunftsfähigkeit. Sie zeigt, dass du alles schon mitbringst, um dich hier und jetzt an die Gestaltung deiner Gegenwart zu machen – welche Zukunft dann auch immer kommt.

Die Schule im Kopf leeren…

Du entwickelst dein Potenzial und deine Fähigkeiten im Austausch mit deinen realen, gegenwärtigen Menschen und Umwelten, nicht mit der Zukunft. Alles, was du lernst, lernst du in Auseinandersetzung mit der Gegenwart. Du lernst „etwas“ also nicht, weil du „es“ für die Matura brauchst oder für einen anderen Abschluss, sondern weil es für dich jetzt gerade eine Lösung verspricht.

Auf die Matura haben wir ja bekanntlich erst kurz vorher gelernt.

Ein Beispiel: Im Unterricht „Mitschreiben“ hat eine Entlastungsfunktion von dem Druck, sich bezogen auf die Prüfung alles merken zu müssen. Nützen tut es dir jetzt

Zweiter Schritt: Zukunft neu begreifen

Zukunft ist nicht vorhersehbar und nicht planbar. Du kannst zwar absehen, dass dir die Wohnung gekündigt wird, wenn du die Miete nicht bezahlst. Doch das ist nicht vorhersehbar. Das ist absehbar.

Vorhersehbar ist nichts. Auch die Zukunft nicht. Sie ist im Moment und Prozess des Lernens einfach unausweichlich. Mehr nicht.

„Voller Hoffnung zu reisen ist besser als anzukommen“ – nie war Robert Louis Stevensons Verdikt wahrer als in unserer flüchtigen Moderne. Wenn die Ziele beweglich sind oder ihren Reiz schneller verlieren, als Menschen laufen, Autos fahren und Flugzeuge fliegen können, dann ist das Unterwegssein wichtiger als das Ziel. … Unsere Kultur beruht nicht mehr wie die Kulturen früherer Zeiten oder jene, die die ersten Ethnologen vorfanden, auf einer Praxis der Erinnerung, der Bewahrung und der Gelehrsamkeit. Sie ist eine Kultur der Auflösung, der Diskontinuität und des Vergessens.

Zygmunt Baumann, Leben in der Flüchtigen Moderne, S. 198f.

Deswegen ist deine Fähigkeit so wichtig, dich so offen wie möglich auf neue Situationen einzulassen und sie lösungsorientiert anzupacken. Hätten wir diese Pluripotenz des Lernens nicht, wären wir heute alle verloren, weil wir ja in der Gegenwart nicht wissen, auf welche Art von Zukunft wir uns gefasst machen sollen. Doch weil wir pluripotente Lerner:innen sind, können wir Zukunft provozieren.

Was für dich wirklich Sinn ergibt und Wert, welche Bedeutung für dich Arbeit hat und eine Community, das entscheidest du immer wieder neu – denn es ist heute gar nicht mehr möglich, dich „endgültig“ auf etwas vorzubereiten, das weiter als ein, zwei Jahre in der Zukunft liegt.

Wir wissen nicht mehr, wie es werden wird mit Ökonomie, Arbeit, Kapital, Politik, und mit den natürlichen Grundlagen unseres Lebens.

Dieses Nichtwissen ist und bleibt unausweichlich. Auch deshalb ist es so wichtig, die Schule in deinem Kopf zu verlassen und dein Lernen zu befreien.

Dritter Schritt: Gegenwart fokussieren statt Zukunft

Der Ort, an dem Lernen passiert, ist die Gegenwart. Sie steckt voller Herausforderungen, Chancen, Aufgaben, Ressourcen, Mitmenschen und divergierender Bedürfnisse – inklusive deiner eigenen.

Die Schule in deinem Kopf sagt: „Oh, wir können auf deine Gegenwarts-Bedürfnisse nicht allzu sehr eingehen, weil es ja um deine Zukunft geht. Wir müssen die Aufmerksamkeit und die Ressourcen dorthin lenken.“

Die Schule in deinem Kopf neigt dazu, deine Gegenwart zu entwerten – um der Zukunft willen, von der wir nicht wissen, wie sie wird. Ich bin hingegen davon überzeugt: Deine entscheidenden Ressourcen liegen im Hier und Jetzt. Mein Job als Lerncoach ist es, dir den Zugang zu ihnen zu ermöglichen.

Sebastian Blättler, Managing Director China,
Boschung Group

Die Schule in deinem Kopf sagt: „Mein Kind soll es einmal besser haben“, oder auf dich bezogen: „Nur wenn ich meinen Lebenslauf mit Zertifikaten auflade, bereite ich mich korrekt auf meine berufliche Zukunft vor“. Das klingt nach Zukunft und nach Planbarkeit – durch Zeugnisse und Abschlüsse.

Doch du weisst nicht, wie diese Zukunft wird und was du wissen und können musst, wenn sie da ist. Die Schule in deinem Kopf sagt, dass es beim Lernen immer um ein „Später“ geht – obwohl dieses „Später“ so unvorhersehbar ist wie nie.

Dein Lernen findet in einer Gegenwart statt, die bewältigt werden will. Die Art, wie du deine Gegenwart angehst, entscheidet maßgeblich darüber, welche Zukunft du dadurch für dich provozierst – ohne je eine Garantie dafür zu haben, dass sie so kommt, wie du sie gerne hättest.

Aus dieser eigenartigen Erfahrung heraus haben wir die Colearning-Initiative gegründet. Wir, das sind Menschen, die verstanden haben: Die Schule in unserem Kopf bereitet uns weder auf die Zukunft vor, noch lässt sich uns unser Potenzial in der Gegenwart ausschöpfen. Wir begreifen die Zukunfts-Ungewissheit als grosse Chance. Mit der Colearning-Idee verwirklichen wir unsere Vision:

Das Lernen aus der Schule in unserem Kopf zu befreien.

Wir verstehen uns als Designer und Architektinnen einer zeitgemässen Lernkultur. Wir sind davon überzeugt: Keine noch so ausgefeilte Weiterbildung „von der Stange“ kann den Anforderungen entsprechen, die wir heute an Weiterbildung stellen müssen. Es ist vielmehr die Weiterbildung, die ich selber kreiere. Selber – aber nicht alleine.

Deshalb haben wir die Colearning-Akademie ins Leben gerufen. Sie ist unser neuestes Projekt. In diesem Angebot vereinen wir alles, wofür Colearning steht.

Klick dich rein:

Marco Jakob. Coworker und Colearner der ersten Stunde. Soziokrat aus Fleisch und Blut. Kongenialer Co-Gründer der Akademie.

Bitte melde dich ganz ungeniert & unverbindlich, wenn du das Team der Colearning-Akademie kennen lernen möchtest.

„Wenn du nicht die Zukunft der Kinder vor Augen hast, bist du ganz schnell wieder im alten Trott“

Wir bringen jetzt jene Menschen enger zusammen, die bisher vor allem in ihren eigenen Ecosystemen innovatives Lernen fördern. Wir bauen ein LEAD-Netzwerk: Learning Ecosystem Architecture & Design. Es gibt so viele wunderbare Initiativen: Wir werden eine Menge Power freisetzen, wenn wir diese Kräfte jetzt bündeln.

Titelfoto: Guido van Dijk. Die AGORA Schule Niekee

Meine Notizen aus einem Gespräch mit Guido von Dijk, einem Mit-Initiator von AGORA in den Niederlanden über die Erfolgsfaktoren auf dem Weg in ein anderes Lernen.

Vor einigen Tagen habe ich in den Sozialen Medien ein Statement publiziert, in dem wir zu viert unsere Sehnsucht nach einer anderen Kultur des Lernens zum Ausdruck bringen. Hier die Kurzvariante:

Die Zeit für eine andere Schule ist JETZT

Guido van Dijk hat auf linkedIn reagiert, und so kam es zu einem Zoom-Talk zwischen uns beiden.

Was ist AGORA, und was hat dieser Begriff mit einem radikalen Neuansatz von Schule zu tun? Wie bei vielen anderen echt innovativen Learning Communities gibt es auch an einer AGORA keine Fächer, keinen Unterricht, keine Klassen. Und wie bei allen anderen Communities verstehst du erst dann wirklich, worum es geht und was, warum wie gut funktioniert, wenn du eine Weile mitlebst oder zumindest mal mit jemandem ins Gespräch kommst, der dir von der DNA erzählen kann. Jemand wie Guido van Dijk. Für mich als großer Fan von Learnlife in Barcelona war es beeindruckend, wie viele Gemeinsamkeiten innovative Learning Communities haben.

Es beginnt immer mit einer Hand voll Menschen, die sich zusammentun, um Schule neu zu erfinden. Immer ist es eine Gruppe, die den Anfang wagt und loslegt. Mitgetragen wird die Zeit des Anfangs durch eine Stiftung oder andere Kapitalgeber, die eine Anschubfinanzierung leisten. Dann beginnt kontinuierlich ein Netzwerk zu wachsen.

Lernende und ihre Interessen stehen im Zentrum

Der entscheidende Unterschied zwischen traditioneller Schule und der AGORA ist der Perspektivwechsel: Die Lernenden und ihre Fragen und Interessen stehen im Fokus. Um sie herum und aus ihnen heraus gestalten sich ihre Lernprozesse. Nicht Lehrende „liefern“ Wissen über eine Lehrplan- und Fächerstruktur. Vielmehr entwickelt sich um den/die LernendeN herum ein Netzwerk, mit dem er oder sie sich nach und nach die Welt in ihrer Multidimensionalität (technisch, naturwissenschaftlich, sozial, ethisch, historisch …) erschließt.

Weil auch die AGORA nicht auf der grünen Wiese gestartet ist, sondern mit Lernenden und Lehrenden, die im klassischen System sozialisiert wurden, wurde dem Team schnell klar, dass sie auch auf der Ebene der Prozesse ein alternatives Konzept einführen müssen, um nicht der Gefahr zu erliegen, bei Schwierig- und Hilflosigkeiten zurück in die klassischen Abläufe zu fallen. AGORA hat sich für „Agile Learning“ mit SCRUM entschieden.

Inspirieren statt belehren

Guido van Dijk

Besonders beeindruckt hat mich in Guidos Erzählung von den ersten Jahren, dass es für sie ganz entscheidend war, Lernende mit inspirierenden Menschen zusammen zu bringen: „Lernen wird organisiert, indem Begegnung organisiert wird“, sagt Guido zu mir im Talk. Aus diesem Grund haben sie über die ersten Jahre so genannte „Field Labs“ entwickelt, die das Lernen mit Expert*innen im sozialen, ökonomischen und kulturellen Umfeld der Schule möglich machen. Das ist eine wunderbare, praktische Anwendung des „place based learning“.

Lehrer*innen haben in diesem Konzept nicht mehr die fachliche Hoheit und vermitteln kein Wissen mehr. Sie werden als Prozessbegleiter und „Facilitators“ wichtig, die damit selber auf ziemlich radikale Weise zu Lernenden werden, und es kommen zur Begleitung und Beratung der Schüler*innen auch andere Berufsgruppen in den Blick, die wir im klassischen Schulsystem nicht vermuten würden.

Ganz besonders hat mich beeindruckt, wie Guido den Ablauf einer staatlichen Visitation geschildert hat, an deren Ende die Kontrolleure am liebsten ihre eigenen Kinder angemeldet hätten. Was die Kontrollinstanzen überzeugt, ist dies: Es wird sichtbar, wie Lernende wachsen, und wie sie ihre Fortschritte über digitale Portfolios dokumentieren um ihren Weg für sich selbst sichtbar zu machen – also intrinsisch motiviert, nicht weil es dafür eine Bewertung geben würde. Die Community wiederum reflektiert mit den Lernenden deren Lern- und Lösungsstrategien und unterstützt sie dabei, diese Strategien zu verfeinern.

Noch ein Mitgründer: Jan Fasen über seine Passion und über das Konzept AGORA

Digitale Technologie dient der Lernbiografie des Menschen

Im Verlauf des Gesprächs mit Guido wird auch sichtbar, wie viel Research und Empirie, wie viel Forschung und ständige Reflexion der eigenen Arbeit in diesem Projekt steckt. Das erinnert mich an Learnlife, die es sich ebenfalls zur Aufgabe gemacht haben, ihre Arbeit mit jungen Menschen fortlaufend und auf dem Hintergrund wissenschaftlicher Erkenntnisse zu reflektieren.

Dabei und beim Gestalten der Lernprozesse hilft digitale Technologie, hilft die Zusammenarbeit mit Hochschulen, hilft auch eine Kultur des „Computational Thinking“, wie Guido sie mir anhand der Auswertung einer breit angelegten Umfrage unter den Stakeholdern von AGORA geschildert hat. Das Ziel ist ganz offenbar, so nahe wie nur möglich an den Bedürfnissen aller Beteiligten zu sein, um die Prozesse so zu planen, dass die grundlegende Idee der „Learner Centered Education“ in allem den Vorang hat – was intensive Überlegungen zu den Möglichkeiten von Learning Analytics mit einschließt.

Was mich nach diesem ersten Gespräch mit Guido stark beschäftigt und antreibt: Wie bauen wir ein starkes, länderübergreifendes und digitales Netzwerk von Multiplikator*innen und Facilitator*innen, um die zahlreichen, guten, hoch wirksamen Konzepte und Initiativen zur Grundlage eines Paradigmenwechsels in Bildung und Lernen zu machen? Wie kommen wir in die Breite? Was braucht’s noch, damit wir in unserem Schulsystem alte Strukturen, Rituale und Praktiken endlich loslassen, die sich selber überlebt haben? Wie sorgen wir dafür, dass an die Stelle überholter Berufsbilder und Ausbildungsformate im Schulbetrieb neue entstehen, die den Beruf attraktiv und für die Arbeit mit jungen Menschen wirksam machen?

Eine nächste Etappe könnte so aussehen:

Im Gespräch mit Christopher Pommerening, dem Gründer der Learnlife-Community, haben sich im Sinne eines ersten Aufschlags folgende Ideen herauskristallisiert:

  • Wir bringen jetzt jene Menschen enger zusammen, die bisher vor allem in ihren eigenen Ecosystems innovatives Lernen fördern. Wir bauen ein LEAD-Netzwerk: Learning Ecosystem Architecture & Design. Es gibt so viele wunderbare Initiativen: Wir könnten eine Menge Power freisetzen, wenn wir diese Kräfte bündeln.
  • Wir laden bereits existierende Communities, Netzwerke und Stiftungen ein, mit diesem „Ecosystem der Praxis“ zu kollaborieren und es zu vergrößern.
  • Wir organisieren stationäre, temporäre und digitale Hubs, in denen interessierte „Learning Innovators“ sich finden, voneinander lernen und sich gegenseitig anleiten auf dem Weg in ein neues Lern-Paradigma.

Und noch zwei spannende Pfade zum Schluss:

Benjamin Fuchs von Perspective Daily hat AGORA besucht und darüber geschrieben. Du findest den Artikel hier.

Learnlife lädt ein zum Online Festival [Re]Learn, where actionable learning innovation is shared & grown among education professionals to positively change education worldwide.

Let’s come & travel this together 🙌

Selbstbestimmt lernen ganz radikal gemacht

Zukunftsfähig ist das Schulsystem als Kurator von Lernprozessen dann, wenn Lernende ganz selbstverständlich darüber entscheiden, wie sie lernen, was, mit wem, wie lange, wo und mit welchen Ergebnissen – bzw. ob Ergebnisse jetzt gerade überhaupt wichtig sind.

Titelfoto von Gerd Altmann auf Pixabay

Hier und da kommt ja die Frage auf, ob und wodurch sich unser Schulsystem als zukunftstauglich entpuppt. Für mich qualifiziert sich ein Diskurs oder eine Diskussion über diese Frage, über Wert und Unwert von Bildungshandeln in erster Linie dadurch, dass Lernende selbstverständliche Teilnehmende und Teilgebende in diesem Diskurs sind. Das ist für sehr viele Lehrende und Lernende, ja eigentlich für alle, die zur Schule gegangen sind, eher ungewöhnlich bis unvorstellbar.

Das Bildungssystem ist nämlich in einem anderen Modus und Selbstverständnis unterwegs: Die Menschen, um die es in den Kern-Prozessen institutioneller Bildungsarbeit geht (aka Schüler*innen oder Studierende), sind aus der Planung, der Gestaltung, der Reflexion und der Weiterentwicklung ihrer Lern- und Bildungsprozesse ausgeschlossen, bzw. sie bestimmen an keiner Stelle und zu keiner Zeit über die Art, die Qualität, das Gewicht und die Konsequenzen ihrer Beteiligung mit. Die Begründung des Systems lautet: Um das zu können, müssen sie ja erst einmal gebildet sein. So das Argument des allgegenwärtigen Adultismus, der bis heute das Fundament unseres Bildungssystems ist – egal, wie modern es sich ansonsten gibt.

Qualifiziertes Lernen ist Lernen, für das ich mich fortlaufend entscheide

Zukunftsfähig ist das Schulsystem als Kurator von Lernprozessen meiner Überzeugung nach dann, wenn Lernende ganz selbstverständlich darüber entscheiden, wie sie lernen, was, mit wem, wie lange, wo und mit welchen Ergebnissen – bzw. ob Ergebnisse jetzt gerade überhaupt wichtig sind. Gemeint ist damit weder, dass sie das „alleine entscheiden“, oder dass sie „alleine lernen“. Niemand, der oder die bei Verstand ist, trifft große Entscheidungen alleine (aber hoffentlich selber), und niemand lernt alleine. Vielmehr zeichnet sich der qualifizierte Lernprozess dadurch aus, dass sich lernende Menschen bewusst für oder gegen einen Weg, ein Thema, eine Lerngemeinschaft und -begleitung entschieden haben – und das lernen sie wie? Indem sie sich entscheiden. Pausenlos, und zwar:

  • Wie sie ihr Lernen organisieren: ob in Form von Unterricht oder nicht, in homogenen Klassen oder nicht, ob in Jahrgänge gesplittet, oder ob sie andere Gefäße bevorzugen und gestalten: altersdurchmischt, interessengeleitet, nach Neigung und Sympathie, on- oder offline, zu Hause, in einer anderen Learning Community oder sonstwo, mit Hilfe der Medien, die ihnen geeignet erscheinen und begleitet von Menschen, die sie sich aussuchen.
  • Welche inhaltlichen Schwerpunkte und Ausrichtungen sie erwägen: ob unter Rückgriff auf fixfertige Pläne und in Form von Fächern oder in anderen Formationen, linear oder eher mändernd, rhapsodisch oder eher stringent. Vertiefend oder eher oberflächlich.
  • Wie sie ihre eigenen Lernfortschritte reflektieren: ob sie sich benoten und bewerten lassen, oder ob sie lieber/auch/manchmal/vermehrt in kollaborativen Teams eigene Methoden der Reflexion entwickeln, einsetzen und verfeinern.

Wie gestalten wir den Diskurs, wie die Diskussion über diese Prozesse und Strukturen?

Die gleichwertige und gleichberechtigte Teilnahme Lernender (Schüler*innen, Studierende, Auszubildende) an den Diskussionen und Entscheidungen über die Entwicklung institutionalisierter Lern- und Bildungsprozesse bildet für mich ein KO-Kriterium und ein Merkmal, an dem ich erkenne: Dieser Diskurs oder diese Diskussion über „Schule der Zukunft“ ist (endlich) in dem Modus unterwegs, der sie als zeitgemäße Lern- und Bildungskuratorin qualifiziert. Bildung und Lernen werden dann nicht mehr über die Köpfe der Zielgruppen hinweg entwickelt, strukturiert, organisiert, durchgeführt und reflektiert, sondern als „deren ureigene Sache“ verhandelt, die nur dann sinnvoll verhandelt werden kann, wenn allen klar ist, dass sie die Träger*innen und Inhaber*innen (Ownership) ihres Lernens sind.

Die Beteiligten haben dann verstanden, dass die Entwicklung von Lern- und Bildungsprozessen jederzeit von den lernenden und sich bildenden Menschen ihren Ausgang nimmt, nicht indem Annahmen und Wissen über sie auf pädagogischen und didaktischen Umwegen einfließen, sondern indem die lernenden und sich bildenden Menschen diese Prozesse ganz selbstverständlich als ihre eigenen Lernprozesse gestalten – zu welchen Entscheidungen auch immer sie dabei kommen.

Also ein neues Lernparadigma

In meiner – an unterschiedlichen Orten außerhalb des staatlich verpflichtenden Schulsystems schon verwirklichten – Vision von Lernen haben Pioniere exakt daraus ihre zentralen Anliegen gemacht:

Lernende selbstverständlich und ausnahmslos als gleichwertige, -würdige und -berechtigte Partner*innen zu betrachten, weil es um die Gestalt und um die Gestaltung ihrer eigenen, nicht dispensierbaren Bildungs- und Lernprozesse geht: um das Tempo, die Rhythmen, die Interessen, die Potenziale, die unterschiedlichen, weil individuellen und nicht homogenisierbaren Entwicklungsphasen. Lernende gelten ihnen als gleichwertige und gleichberechtigte Träger*innen und Vertreter*innen ihrer Bedürfnisse, Fragen, Ideen und Sorgen.

Dass dieser entscheidende Schritt in ein neues Lernparadigma in einem schulischen Feld oder System gemacht ist, das erkennen wir unter anderem daran: lernende, studierende und sich ausbildende Menschen nehmen ganz selbstverständlich an diesen Diskursen und Diskussionen teil – unaufgefordert und auch nicht „eingeladen“, weil es ja um sie geht. Konkret: weil es ihnen um ihr Lernen geht. Sie sind selbstverständlich auf allen Ebenen und in alle Prozesse eingebunden, nicht als „Beisitzende ohne Stimme“, sondern als Entscheider*innen.

Und das alles gibt es bereits. Demokratische und soziokratische Schulen arbeiten nach diesem Prinzip. Wenn wir diese Pioniere jetzt noch ins Netz bringen und davon überzeugen können, dass sie die digitale Netzwerk-Community um das neue Lernen unendlich bereichern – dann sehe ich großen Zeiten entgegen. 

Lehrer: Ein aussterbender Beruf

Der vielbejammerte Lehrermangel ist gar keiner. Ebensowenig wie z.B. der Priestermangel in der katholischen Kirche. Es gibt davon immer weniger, weil diese Berufe aussterben. Wir sollten das akzeptieren und möglichst heute anfangen, uns entsprechend zu organisieren. Auch und gerade als Lehrer.

Titelfoto: Pexels auf Pixabay

Wir sind ausnahmslos alle in der “Sagen-sie-uns-wie-das-geht-und-was-wir-tun-müssen“-Kultur aufgewachsen. Jetzt finden wir uns in einer Kultur wieder, in der nicht einmal mehr die Expertinnen und Experten wissen, wie es weitergeht – wir müssen das also selber herausfinden und wissen erst einmal nicht, wie.

Besonders augenfällig und dramatisch erleben wir den Kulturwandel derzeit also beim Lernen. Wir, die wir in einem Bildungssystem groß geworden sind, in dem Expert*innen zu wissen vorgaben, wie Lernen geht, und wie wir zu lernen haben. Dabei weiß keiner wirklich, wie Lernen geht: „Lernen ist nicht zu verstehen“ (Andreas Sägesser).

Bei hoch komplexen, technischen Vorgängen wie beim Operieren von Menschen oder beim Fliegen von Flugzeugen sind Experten ziemlich nützlich. Aber bei der Grundfunktion menschlicher Existenz, dem Lernen, gibt es außer dem Menschen, der oder die jetzt gerade lernt, keine andere Expertin als sie oder ihn – und diese Expertise ist auch nicht delegierbar, weil jeder Mensch total individuell lernt.

Lernen bis der Lehrer kommt

Mit dieser Erfahrung kommen Menschen auf die Welt und sind von Anfang an in diesem Flow unterwegs, bis er ihnen ausgetrieben wird von zertifizierten Expert*innen des Lernens, die ab jetzt die Steuerung, die Inhalte, die Strukturen, die Organisation und den Outcome bestimmen und überwachen. Ein absurdes Unterfangen – und doch bildet es bis heute die Grundlage einer Kultur und deren Reproduktion, die jetzt abgehakt ist ­– außer in den Köpfen derer, die vorgeben, das Lernen anderer zu organisieren.

Die Aufgabe, in der wir im Moment stecken, scheint mir klar: Das Lernen zuzulassen, um jene Fähigkeiten zu entwickeln, die uns helfen die Kultur zu gestalten, in die wir uns hineinkatapultiert finden – und in der es z. B. darum geht, Alternativen fürs Fliegen von Flugzeugen zu finden und verrückt präzise und erfolgreiche Operationsmethoden, die von Künstlicher Intelligenz gesteuert und von Maschinen durchgeführt werden.

Welche Aufgabe dabei ausgebildete und zertifizierte Lehr- und Lernexpertinnen und -experten noch spielen: da sehe ich eher schwarz. Sie selber womöglich auch, und das könnte ein Grund dafür sein, dass sie sich so hartnäckig gegen eine Kultur der Digitalität wenden. Weil sie (und ihre Arbeitgeber*innen und ihre Ausbilder*innen) intuitiv realisieren, dass Lehrsysteme mitsamt den Angeboten, Funktionen und Aufgaben, die sie heute erfüllen,

  • erstens für lernende Menschen womöglich gar nie wirklich gebraucht wurden, weil all das, was sie didaktisch und methodisch zaubern, Menschen eher von ihrem Lernen abhält als es sie je hätte (hätte Fahrradkette) darin fördern können;
  • und weil sie merken, dass solches Expertentum in der kulturellen Zukunft nicht mehr gefragt sein wird.

Und was brauchen wir jetzt?

Was es womöglich noch viel mehr brauchen wird, sind Menschen, die eine Ahnung haben von dem, was sich heute in Fächern und Lehrplänen versteckt – aber nicht in dieser Form: Kein Lehrplan und kein Fach kann formal oder inhaltlich mithalten mit dem, was im Internet qualitativ zu finden ist, wenn ich zu suchen weiß. Fächer und Lehrpläne sind bereits heute eine ganz und gar anachronistische Form der Wissensorganisation. Für das Gestalten individueller Lernprozesse taugen sie nicht.

Es braucht womöglich Menschen, die für ihr Anliegen und ihre Sache brennen, die es lieben mit jungen Menschen unterwegs zu sein auf Lernexpedition in eine Welt, in der wir uns gerade auf technologischen Wegen riesige Möglichkeiten und Freiheiten erschaffen, um gemeinsam immer weiter auf Entdeckungstour zu sein – mit der Frage im Gepäck, wie wir das alles nachhaltig und menschlich nützen. Das weiß kein Lehrplan, der ja zukünftig bereits in dem Moment veraltet ist, in dem er ratifiziert wird.

Es braucht Menschen, die all den pädagogisch-methodisch-didaktischen Schnickschnack eines durchstrukturierten Command-and-Control-Systems hinter sich gelassen haben. Die stattdesssen häufiger mal tief ein- und wieder ausatmen, und die dann einfach da sind, wenn junge Menschen auf sie zukommen, weil sie auf ihrer Expedition in die Welt festgestellt haben, dass sie jetzt einen Experten brauchen. Oder eine Expertin. Sehr konkret, aktuell, situativ.

Und natürlich wird jetzt der eine oder andere sagen: Genau! Solche Lehrer brauchen wir! Und ich sage dir: Wir brauchen sie nicht. Denn Lehren gehört einer Kultur an, die tot ist. Aus und vorbei – und leider sind es bis heute vor allem jene, die hauptberuflich mit Lehren beschäftigt sind, die diesen radikalen Kulturwandel noch nicht einmal bemerkt haben. Deshalb halten sie so kraftvoll und manchmal auch verbissen daran fest, dass es das Lehren und den Lehrer in alle Zukunft brauchen wird. Dabei ist es ein Beruf, der der Kultur der Digitalität zum Opfer gefallen ist.

Da kommen jetzt nicht andere Aufgaben und Funktionen auf den Beruf der Lehrerin und des Lehrers zu. Der Beruf verschwindet. Wenn Flugzeuge von Maschinen geflogen werden, ändert sich nicht der Beruf des Piloten, und wenn Maschinen operieren, verändert sich nicht der Beruf der Chirurgin. Es braucht dann diese Berufe nicht mehr. Es entstehen andere und neue.

Das wird ja seit einiger Zeit rauf- und runtergebetet angesichts der Digitalen Transformation. Es mag halt keineR so richtig glauben. Am wenigsten die Angehörigen der Berufe, um die es geht. Niemand sieht freiwillig dabei zu, wie sein oder ihr Beruf verschwindet. Und doch würde ich allen, die sich da aktiv auf den Weg machen wollen, ans Herz legen: Geht davon aus, dass ihr tatsächlich einen neuen Beruf erlernt und nicht den alten irgendwie anders gestaltet.

Der vielbejammerte Lehrermangel ist keiner. Ebensowenig wie z.B. der Priestermangel in der katholischen Kirche. Es gibt davon immer weniger, weil diese Berufe aussterben. Es gilt also auch nicht, „den Lehrerberuf neu zu erfinden“. Wir sollten das akzeptieren und möglichst heute anfangen, uns entsprechend zu organisieren. Auch und gerade als Lehrer.

Die großen Chancen der Digitalen Netzwerk-Community

Die Netzwerkgesellschaft ist eine Beziehungsgesellschaft, weil sie das Verhältnis der Menschen zueinander und ihre Kommunikation neu verhandeln muss – und als Chance formuliert: weil sie sie diese Beziehungen neu verhandeln kann.

Titelbild: Gerd Altmann auf pixabay

Die Netzwerkgesellschaft ist, anders als ihre Vorgängerin, viel mehr eine Beziehungsgesellschaft, da sie durch ihr digitales Fundament ganz ohne Hierarchien und andere klassische Kontrollmechanismen auskommt bzw. erst ohne sie funktioniert, sprich: zu sich selber kommt.

Wer sich aktiv auf das Netzwerk einlässt, kann ab diesem Moment nicht mehr auf Privilegien pochen, die ihm oder ihr in der analogen Hierarchie-Kultur automatisch zufließen.

Die Netzwerkgesellschaft ist de facto klassenlos, solange sie in ihrem Medium kommuniziert: Im Internet und in seinen Kommunikationsmedien ist der soziale Status erst einmal keine Währung.

Im Moment mag das noch anders aussehen und sich anders anfühlen. Das hat damit zu tun, dass wir mitten im Übergang sind: Im Moment leben wir kulturell gesehen noch in zwei Welten: in der untergehenden und in der aufgehenden.

Michael Seemann: Das neue Spiel. Strategien für die Welt nach dem Digitalen Kontrollverlust

Das erkenne ich auch daran, dass die Begriffswelt der Buchkultur noch immer von einer Dualität ausgeht: Hier die physische, analoge Welt, dort die digitale, die auch oft als „virtuelle“ bezeichnet wird, um ihren aus Sicht der alten Welt eher unwirklichen, nur scheinbaren Charakter zu benennen.

Die Netzwerkgesellschaft ist eine Beziehungsgesellschaft, weil sie das Verhältnis der Menschen zueinander und ihre Kommunikation neu verhandeln muss – und als Chance formuliert: weil sie sie diese Beziehungen neu verhandeln kann.

Jede kann mit jedem in Kontakt treten, Gruppen bilden, Interessen austauschen, Projekte aufgleisen, Beziehungen knüpfen, soziale Räume von Grund auf gestalten. Begegnung kann mehr als je zuvor auf Augenhöhe beginnen.

Soweit die Chancen.

Ego ist nicht gleich Ego: Warum wir gerade jetzt starke Persönlichkeiten brauchen

Ich bin davon überzeugt, dass nur das starke, in sich ruhende, aufrechte Ich in der Lage ist, gemeinsam mit anderen die Herausforderungen anzunehmen, vor denen wir stehen.

Bild von Free-Photos auf Pixabay

Der Widerstand gegen ein veraltetes Bildungswesen, gegen ein einseitiges Wirtschaftssystem und gegen die Zerstörung unserer natürlichen Lebensgrundlagen und Ressourcen, der beginnt damit, dass mehr als ein Mensch aufsteht und mit aller Konsequenz „ich“ sagt: Ich widerspreche.

Ich steige aus. Ich spiele dieses Spiel nicht mehr mit. Ich wage es, mich meines eigenen Verstandes zu bedienen – und zu begreifen. Ich ändere mein Konsumverhalten, meine Mobilitätsansprüche. Ich weigere mich, den faulen Kompromiss weiterhin zu unterstützen. Ich lebe solidarisch.

Die Zukunft beginnt heute mit den Widerstand

Die Zukunft, die wir dringend nötig haben, beginnt mit dem Widerstand. Der beginnt mit sich selbst bewussten, selbstkritischen, solidarischen, starken, resilienten, sich abgrenzenden Egos, die ihre Überzeugungen nicht gegen ein wenig Stallwärme eintauschen. Menschen, die sich trauen, aus der Masse hervorzutreten, und sie genau dadurch in ihrem Massencharakter enlarven und entkräften: „Hier stehe ich, ich kann nicht anders“, oder „I have a dream“. Was wir brauchen, sind vielfältige, lebendige Gegenentwürfe zu den traurigen, verstörenden Zerrbildern, die gerade reihenweise zu Vorbildern stilisiert werden.

Hört auf, gegen das Ego zu moralisieren

Die Revolution, die uns bevorsteht, wird nur dann eine humane sein, im Unterschied zu den vielen gescheiterten Revolutionen vor ihr, wenn sie nicht eine der wenigen Egos ist, denen gesichtslose Massen folgen. Sie wird dann diese humane Revolution sein, nach der wir uns alle sehnen, wenn sie eine der starken, empathischen, selbstbewussten, visionären Egos ist. Ich glaube an das Konzept des vernetzten Individualismus.

Die tief in unserem Erziehungs- und Bildungsideal verwurzelte, schrecklich moralisierende Ent-Egoisierung des Menschen, der Hang dazu, Mittelmaß hervorzubringen, die gezüchtete Angst davor, zu sich und seinen/ihren Potenzialen zu stehen, sich selbst zu entdecken und zu entfalten, führt zu Duckmäusertum und Skrupulanz. Sie führt zu lächerlichen und zugleich verstörenden „Reichstags-Stürmen“. Sie führt dazu, dass Menschen ihre Träume vergraben. Sie ritualisiert das Schweigen, wo klare Positionen und Positionierungen nötig sind.

Ich bin davon überzeugt, dass nur das starke, in sich ruhende, aufrechte Ich in der Lage ist, gemeinsam mit anderen die Herausforderungen anzunehmen, vor denen wir stehen.

Warum digitale Präsenzlehre eine teure Sackgasse ist

Menschen lernen nicht auf Befehl und gemäß äußeren Vorgaben, das wäre Dressur – und bilden kann sich jeder Mensch nur selbst. Das wissen wir zwar, doch wir lernen nicht daraus. Selbst jetzt, wo uns die Möglichkeiten einer Kultur der Digitalität völlig neue Räume eröffnen: Das ist uns wurscht.

Titelfoto: Ruben Rubio auf Pixabay

Das synchrone Lehren und Lernen ist ein Relikt aus vergangenen Zeiten, in denen Menschen nach Alter und Fach organisiert in ein Klassenzimmer, in einen Seminarraum oder Hörsaal gesteckt wurden, um alle zur selben Zeit auf dieselbe Weise mit denselben Informationen versorgt zu werden. „Synchrones Lehren“ war einer Organisation von Bildungsprozessen geschuldet, die keine anderen Möglichkeiten hatte, um bzw. als Menschen mit Lehrinhalten zu bespielen.

Dabei wurden der Charakter und das Wesen des Lernens der Vermittlung von Information untergeordnet, bzw. sie wurden ganz ignoriert („Wir können uns ja nicht um die Bedürfnisse jedes einzelen kümmern!“). Da geht es nicht um die Frage, was jede und jeder einzelne Schüler*in braucht, sondern darum, wie ich mein Angebot so aufbereiten kann, damit Schüler*innen unterschiedlicher Voraussetzungen den Stoff aufnehmen und verarbeiten können – und selbst dabei ist die schülerbezogene Differenzierung nur sehr begrenzt möglich. Das war und ist Didaktik: Vermittlung von Stoff an Lernende. Wir nennen es „Bildung“.

Aber Menschen lernen nicht auf Befehl und gemäß äußeren Vorgaben, das wäre bloß Dressur oder Konditionierung – und bilden kann sich ein Mensch nur selbst. Er oder sie kann nicht gebildet werden (Peter Bieri). Das wissen wir schon lange. Wir ziehen aber nicht die entsprechenden Konsequenzen aus diesem Wissen. Wir lernen nicht daraus. Selbst jetzt, wo uns die Möglichkeiten einer Kultur der Digitalität völlig neue Räume eröffnen. Das ist uns wurscht. Digitale Technologien sind böse.

Der Teufelskreis: Weil wir alles, was mit Digitalität zu tun hat, mit großen Vorbehalten verbinden, informieren wir uns nicht – und weil wir uns nicht informieren, werde unsere Vorbehalte größer.
Der Primat der Präsenz ist Vergangenheit

Lernen ist in jeder Hinsicht ein individueller Prozess, der sich in sozialen Kontexten organisiert und dabei an Individualisierung ständig zunimmt. Deshalb funktioniert er an sich asynchron und ist nicht synchronisierbar:

Was ein Mensch in welcher Zeit, mit wem zusammen, in welchen Kontexen mit welchen Schwerpunkten, Vertiefungen, Anknüpfungen und (jederzeit vorläufigen) Ergebnissen in welchem Tempo lernt, ist mit keinem Lehr- und Stundenplan synchronisierbar. Auch das weiß die Schule – und sie ignoriert es hartnäckig.

Auch deshalb bleibt einer der großen Vorteile des Internets, die asynchrone Kommunikation und Organisation von Prozessen, außen vor. Wir bleiben beim Primat der Präsenz, sprich wir halten an synchroner Lehre fest, und wenn darob die Welt zu Grunde geht.

Dabei hat das „alle-hier-und-jetzt-dasselbe-Prinzip“ schon heute das Nachsehen in der Kultur, in der wir leben und uns organisieren. Asynchrone Kommunikation und Organisation sind ein wesentliches Merkmal nicht nur menschlichen Lernens, sondern auch unserer Arbeit, der Forschung und unseres Zusammenlebens in Familien, im Freundeskreis und in der Gesellschaft. Wir leben und arbeiten in einer Kultur der Digitalität.

Unter asynchroner Kommunikation versteht man … einen Modus der Kommunikation, bei dem das Senden und Empfangen von Daten zeitlich versetzt und ohne Blockieren des Prozesses durch bspw. Warten auf die Antwort des Empfängers (wie bei synchroner Kommunikation der Fall) stattfindet.

Wikipedia

Die Digitalisierung hat das zuerst möglich und dann unausweichlich gemacht. Das verstehen Schulen, Hochschulen und Bildungspolitiker*innen bis heute nicht. Sie sind an den entscheidenden Stellen un- oder desinformiert und nicht bereit, sich selbst entsprechend kundig zu machen. Das ist ökonomisch ebenso verantwortungslos wie gegenüber der Klientel.

Stattdessen wird, wo überhaupt eine digitale Infrastruktur vorhanden ist plus Know-How, wie sie eingesetzt werden kann, „Digitale Bildung“ gemacht und damit ist gemeint: technologisch aufpimpte Didaktik, also Vermittlung von Stoff. Das wird dann auch schon Mal als „virtuelle Präsenzlehre“ bezeichnet, was es aber auch nicht ist. „Virtuell“ steht für eine technisch erzeugte Realität, nicht für eine digital übertragene, die auch ohne diese Übertragung existiert.

Per Strategie in die Sackgasse

Die Strategie unzähliger öffentlicher und privater Bildungsanbieter sieht im Moment so aus: Es werden Unmengen an Zeit und Geld investiert, um ansonsten mehr oder weniger unveränderte Vermittlungsprozesse ins Netz zu bringen – oder mann lässt es gleich dabei bewenden, das Klassenzimmer bzw. den Seminarraum mit digitaler Technik aufzumotzen.

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Dieser Weg ist eine Sackgasse. In ihr wimmelt es nur so von Scharlatanen, die überforderten Lehrer*innen, Schulleiter*innen und Bildungspolitiker*innen Hilfe anbieten „auf dem Weg in die Digitalisierung“. Dabei verlängern sie nur das Überleben einer Lehrpraxis, die längst von einer anderen Kultur abgelöst ist.

Menschen in jedem Alter lernen längst auf anderen, digital formatierten Wegen. Unser gesellschaftliches Leben hat sich durchgehend in einer Kultur der Digitalität organisiert und eingerichtet – auch was das Arbeiten, die Künste, den Konsum, die Mobilität, das Reisen, das Forschen, das Publizieren, das Verkaufen, die Logistik, den Handel, das Produzieren, das politische Engagement und vieles mehr betrifft – und die Ökonomie gibt in Fragen digitaler Wertschöpfung den Ton und das Tempo an.

Nur die Bildung hat sich tief in der Gutenberg-Galaxis verfahren. Von Montag bis Freitag von 7.30 bis 11.30, und von 13.00 bis 16.55 auf Sendung – an 40 Wochen im Jahr.

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Wer wird die Bereinigung auf dem Bildungsmarkt überleben?

Überleben werden diese Markt-Bereinigung vor allem Unternehmen, denen es gelingt, ihren Kund*innen glaubwürdig(e) Bildungs-Konzepte und -produkte zu verkaufen, die sie dabei unterstützen, in einer digitalen Ökonomie anzukommen. Produkte, bei denen es um eine ganz neue Art von wo*man-power geht, um Fähigkeiten und Kompetenzen, die die neuen (digitalen) Arbeitsmärkte brauchen.

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Corona hat eine Entwicklung beschleunigt, in der wir schon seit einiger Zeit stecken. Mit einer eher kalten Vokabel umschrieben, befinden wir uns auf dem Bildungsmarkt in einer Phase der „Bereinigung“ – durch Corona nimmt das Tempo zu.

Diese Bereinigung trifft zuerst die privaten (Bildungs-)Träger*innen, denen der Staat nicht automatisch die Kundschaft zuliefert wie den staatlichen Schulen und Hochschulen. Die müssen sich aus diesem Grund noch keine Sorgen darüber machen, ob es sie übermorgen noch gibt. Zwar ächzen sie unter dem Digitalisierungsdruck und eiern vielfach konzeptlos vor sich hin – das hat aber noch keine Konsequenzen für ihre Existenz. Die staatliche Bildung trocknet vermutlich eher von innen aus, weil sie immer weniger Personal findet. Das hat auch damit zu tun, dass Bildungsberufe im Kontext der Digitalen Transformation immer mehr an Attraktivität verlieren.

Anders ist das bei privaten Bildungsanbietern, also bei denen, die Geld erwirtschaften müssen, um nicht zu verschwinden. 

Was mit „Bereinigung“ gemeint ist

Durch die Digitale Transformation unserer Gesellschaft und Ökonomie wird mehr und mehr aufwändige Infrastruktur in der Bildung überflüssig. Die Redundanz der Angebote (Übersättigung) fällt der Digitalisierbarkeit von Prozessen und Kommunikation zum Opfer. So, wie es in wenigen Jahren fast keine Bibliotheken aus Stein und Beton mehr geben wird, weil alle Bücher, Artikel etc. im Netz sind (und nicht nur Studierende jederzeit und überall recherchieren & lesen können und werden), so werden sich auch Bildungseinrichtungen im Sinne physischer Orte, Bauwerke und Räume stark reduzieren und dabei ihre Identität völlig verändern.

Diese Entwicklung wird enorm sein, und sie geht gerade erst los. Für Private ist das deshalb sehr anspruchsvoll, weil es bereits wenige exzellent aufgestellte Multis gibt (fast alle us-amerikanischer Herkunft), die Aus- und Weiterbildung komplett online designen, und die über ausgereifte Geschäftsmodelle für Industrie, Handel und Dienstleistung verfügen, die finanziell sehr attraktiv sind.

Wer wird überleben?

Überleben werden diese Markt-Bereinigung vor allem Unternehmen, denen es gelingt, ihren Kund*innen glaubwürdig(e) Bildungs-Konzepte und -produkte zu verkaufen, die sie dabei unterstützen, in einer digitalen Ökonomie anzukommen.

Sie bieten Produkte an, die eine ganz neue Art von wo*man-power fokussieren: Fähigkeiten und Kompetenzen, die die neuen (digitalen) Arbeitsmärkte brauchen.

Bildungs-Unternehmen, die sich zu diesem Zweck neu aufgestellt haben und selber eine „Kultur der Digitalität“ entwickelt haben, werden als Gewinner aus dieser Phase der Bereinigung hervorgehen.

Der Bildungsmarkt wird in wenigen Jahren nichts mehr mit dem zu tun haben, wie wir ihn heute kennen. Das ist für die allermeisten Verantwortungsträger nach wie vor unvorstellbar. Niemand kann oder mag sich das vorstellen – und das gefährdet die Existenz des Unternehmens.

Andererseits: Es warten so unglaublich viele und großartige Chancen für diejenigen, die sich jetzt auf den Weg machen:

Courageous, consistent, successful: The Learnlife Community

Start to connect now. Start unschooling yourself and your kids. Every kid. Get out of the position of being talked down to. Start taking ownership of your own learning path. Make that switch from being a passive to an active learner. Unlearn – to be able to engage yourself in learning again. Become an actor instead of a spectator in your own education.

No school classes, no division into age groups, no subjects, no classrooms, no lessons, no periods, no school bell, no tests, no grades. No instructions as to what or which content they should learn by when. Instead, without exception, young learning people being supported day by day in taking ownership for their own learning and growth.

For this purpose they get all human and personal support from other people in the learning community and from those who are connected from „outside“. It is strictly about the young people discovering and developing their own strengths, interests and potential. The learning environment provides them with everything they need to do this. Including the most important social tool called collaboration, the care for themselves and others, and again: undivided interest in their growth. These are some of the differences that Learning People experience at Learnlife every day.

And this works perfectly. Not only at Learnlife in Barcelona but in many learning communities around the globe, which have radically abandoned a discarded a meaningless school system to focus on the empowerment and future of young people.

And if you want to discuss this with traditional teachers, school principals or education policy makers, you quickly realize: it’s easier to nail a pudding to the wall than to find a trace of imagination inside them, any spark of curiosity that might outshine their immediate concern. They cling to what they are used to see, to think, to do and consider normal. They cannot relate to what exists outside their self-contained frame of reference in terms of development, challenge and excellent solutions.

They insist that all truly innovative and novel models, approaches and practices of learning and education are and remain incompatible with what their system does and has to do – and then they will continue to put all their energy transferring the old, completely dysfunctional school system into digital space – e.g. during the upcoming second corona wave – eagerly dressed up by digital toys.

Joining the resistance

They will never give up the power of control that makes their job what it is – until we stop giving them our kids. Try that. Start a research. Look out for people of all age and background around the world. People who create and have created fascinating learning communities: beyond the inhuman pressure of grades and merit, beyond the reproduction of a culture and an ideology of humankind that alienates even children from themselves and their possibilities on the excuse that they have to be educated.

Start to connect now. Start unschooling yourself and your kids. Every kid. Get out of the position of being talked down to. Start taking ownership of your own learning path. Make that switch from being a passive to an active learner. Unlearn – to be able to engage yourself in learning again. Become an actor instead of a spectator in your own education.

From this moment you start automatically to make all this possible for kids – and we all together start changing this fading world.

Sam, Christopher, Maria and Devin on the challenges of the learnlife project.

Der Sinn des Lebens: Dem Leben einen Sinn zu geben

Im Internet habe ich den Spruch gelesen: Der Sinn des Lebens ist es, dem Leben einen Sinn zu geben. Der besteht nun aber nicht darin, es den Tieren gleich zu tun mit Nestbau, Fortpflanzung und Revierverteidigung. Bei uns Menschen beginnt die Sinnarbeit ja erst in dem Moment, in dem die Versorgerlage geklärt und gesichert ist. Ab dann wird’s interessant!

Wir haben derzeit nicht das Problem, dass wir uns zu sehr für uns selbst und zu wenig für andere und die Mitwelt interessieren. Wir interessieren uns schlicht für unsere Versorgung, für unsere Sicherheit und dafür, dass sich im Hintergrund alles so anfühlt wie immer. Für uns selbst interessieren wir uns damit aber nicht. Im Gegenteil.

Wir interessieren uns für etwas, das mit uns zu tun hat, so wie Tiere Nester bauen und Nahrung anschaffen, ihre Reviere verteidigen und ihren Nachwuchs schützen. Wir rackern uns ab um für spätere Zeiten etwas auf die Seite zu bringen wie Vierbeiner Wintervorräte anschaffen. Dem gilt unser Interesse.

Im Internet habe ich den Spruch gelesen: Der Sinn des Lebens ist es, dem Leben einen Sinn zu geben. Der besteht nun aber nicht darin, es den Tieren gleich zu tun mit Nestbau, Fortpflanzung und Revierverteidigung. Bei uns Menschen beginnt die Sinnarbeit ja erst in dem Moment, in dem die Versorgerlage geklärt und gesichert ist. Dann wird’s interessant!

Dann öffnet sich ein Horizont an Möglichkeiten, der sich nicht mehr pausenlos mit der Notwendigkeit und der Gefahr auseinandersetzen muss, Fressen anzuschaffen oder gefressen zu werden.

Dann entsteht ein Raum der Möglichkeiten, der auch schon als „conditio humana“ bezeichnet wurde: frei zu gestaltende Zeit, das zweckfreie Spiel, die Muße, das Moment des Ästhetischen, das sich in den Künsten artikuliert, aber auch die Langeweile. Das Herausragen aus den unerbittlichen Abläufen der Natur, aus dem „so und nicht anders“ genetischer Programme. Eine Vielfalt, die aus bewusstem Handeln und Gestalten folgt, aus Entscheiden und Verantworten. Alles jederzeit verbunden mit dem Wissen um die eigene Endlichkeit.

Diese Phänomene sind es, die einen Menschen mit seinen und ihren Mitmenschen verbinden – jenseits instinkthafter Bedürftigkeit. Das macht den Menschen aus. Es führt ihn und sie über das Wesen seiner und ihrer tierischen Mitwelt hinaus, ohne die Verbindung mit ihr zu verlieren.

Wenn also jemand anfängt, sich für sich selbst zu interessieren, dann fängt er und sie damit an, sich für den Kosmos dieser Möglichkeiten zu interessieren, der jenseits einer Selbstbezüglichkeit liegt, gegen die wir keine Macht und die wir bloß zu vollziehen hätten.

Deshalb vermute ich: Wir sind im Moment nicht zu viele Menschen, die nur an sich selber denken, sondern eigentlich an alles andere. Wir kennen den Geschmack von Menschsein jenseits von Versorgung und Sicherheit nicht. Denn täten wir das, dann würden wir uns unmittelbar in einer Gemeinschaft von Mitmenschen wiederfinden, denen pausenlos wie Schuppen von den Augen fällt, wie sehr wir aufeinander angewiesen sind, wenn wir dem Leben einen Sinn geben wollen – jenseits von fressen und gefressen werden, von Absicherung, Abgrenzung, materieller Anhäufung.

Es gibt dazu ein aktuelles Buch: „Im Grunde gut“ – von Rutger Bregman. Er reflektiert dieses Phänomen auf historischem Weg und zeigt Stück für Stück auf, welche Möglichkeiten der Kooperation in uns stecken – über alle jene Grenzen hinweg, die wir uns, aus welchen Gründen auch immer, täglich aufs Neue einfallen lassen.