Es ist wahnsinnig beliebt, in den Medien Forderungen zu stellen. Egal nach was. Nach Luftfiltern, WLAN, Konsequenzen. Nach Rücktritt, Neuwahlen, Konsequenzen. Nach Einschränkung, Verhaltensänderung, Konsequenzen. Der digitalöffentliche Diskurs, und es gibt womöglich keinen anderen öffentlichen Diskurs mehr als den digitalen, ist ein Forderungsdiskurs.
Er begnügt und erschöpft sich darin, Forderungen zu stellen – und zwar auf allen Ebenen (ökonomisch, ökologisch, politisch, sozial …), und, das ist nicht trivial: zunehmend von jenen, die Forderungen nicht so sehr zu stellen hätten, sondern sie zu gewahren und mit Konsequenzen aufzuwarten. Stattdessen machen sie es wie der Bäcker, der täglich besseres Brot fordert ohne es zu backen: Wenn etwa Mitglieder des Deutschen Bundestages bzw. der regierenden Regierung Forderungen nach einer „besseren Demokratie“ stellen, ohne bzw. statt sie zu praktizieren. Hohe Politiker*innen und Führungskräfte, Meinungsführer*innen und Influencer*innen fordern am laufenden Band: Veränderungen, Einsichten, Konsequenzen, ohne dass es welche geben würde, außer der, dass die Forderungen abgelehnt werden – oder ignoriert. Keine Konsequenz ist ja irgendwie auch eine.

Das ist der deutsche Forderungsdiskurs.
Was bewirkt er?
Er bewirkt (!) einerseits die Ablehnung von Forderungen, bzw. dass sie ignoriert werden, und daraus folgend ihre Vervielfältigung: Ignorierte oder abgelehnte Forderungen bringen mehr/neue Forderungen hervor, die dann abgelehnt bzw. ignoriert werden. Forderungen sind das Brennholz des Forderungsdiskurses. Anderes Bild:
#Ballmaschine
Aus dem Blick gerät in diesem Diskurs (weil der nur noch zu diesen reflexhaften Zyklen führt), worum es bei den Forderungen geht, außer dass sie gestellt werden. Das Geforderte wird, egal, um was es geht und warum, weil es eine Forderung ist, umgehend abgelehnt bzw. ignoriert.
Ein Zyklus ist im Forderungsdiskurs einmal durchlaufen (und beginnt von vorne), wenn die oder irgendeine Forderung gestellt wurde – und im selben Moment abgelehnt oder ignoriert. Das hält den Forderungsdiskurs am Laufen. Inklusive der Forderungen, jetzt doch endlich mal keine mehr zu stellen: „Was wollt ihr Schwulen eigentlich noch? Jetzt dürft ihr ja sogar schon heiraten!“

Die Gefäße dieses Diskurses, also Timelines, Foren, Posts und Threads, sind die Backstuben. Hier wird der Teig gerührt, hier betört der Duft frischgebackener, knackiger, bissfester, pikanter Forderungen, hier organisieren sich jene, die Forderungen formulieren und stellen, wie sich seinerzeit die Zünfte in Zünften organisierten. Der digitale Forderungsdiskurs ist gut organisiert.
Nichts entfaltet mehr Schlagkraft als eine frisch gebackene Forderung. Deshalb wird auch Wert auf ihre Qualität gelegt. Schlüssig muss sie sein und wissenschaftlich belegt. Nachvollziehbar. Logisch. Auch diese Aufgabe ist eine Aufgabe von Diskursen, die von und in Disziplinen geführt werden. Zum Beispiel in den Backstuben der Wissenschaften. Die backen dort extrem Nahr- und Schmackhaftes. Im digitalen Forderungsdiskurs führen diese Endprodukte, die Backwaren quasi, dann zu Forderungen, die abgelehnt und/oder ignoriert werden – und in der Folge erneut/verstärkt gestellt.
Deshalb wohl bekommen Forderungen im digitalen Forderungsdiskurs mehr und mehr einen neuen Zweck. Der liegt nicht mehr darin, dass sie erfüllt werden, sondern gestellt.
Verstärkt wird diese Entwicklung durch den Empörungsdiskurs. Aber das ist eine andere Story.