Muss die Bildung die Welt verbessern?

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Die schlimmsten Aufforderungen sind die, die von Anfang an zum Scheitern verurteilt sind. Wir nehmen sie ernst, tun unser Bestes – und floppen. Im Fachjargon reden wir von Double Bind: „Sei spontan!“, oder „Überrasch mich mal!“ In einer einzigen Nachricht stecken zwei widersprüchliche Botschaften.

Auch der Auftrag an die Bildung, die Welt zu verbessern, ist so eine Aufforderung. Wenn sie nämlich damit anfängt, löst sie umgehend Gegenreaktionen aus. Warum? Weil Verbesserung immer mit Veränderung zu tun hat. Und die tut weh. Vom Mathematiker Georg C. Lichtenberg stammt der Spruch dazu: „Es ist nicht gesagt, dass es besser wird, wenn es anders wird. Aber wenn es besser werden soll, muss es anders werden.“

Und es gibt noch einen Grund: Bildung und ihre Einrichtungen (z.B. Schulen und Hochschulen) haben bis heute den Auftrag, Gesellschaft zu reproduzieren, nicht sie zu verändern. Letzteres macht höchstens die Forschung. Die so genannte „Lehre“ bildet Bestehendes ab und gibt es an die nächste Generation weiter: Strukturen, Hierarchien, Welt- und Menschenbilder. Und jede Menge Informationen, die sie als Wissen ausgibt wie die Kantine das Essen.

Der traditionelle Schulbetrieb ist ein Überbleibsel der Industrialisierung, das sich in unseren Kulturen eingenistet hat. Er dient vor allem dem Erhalt eines Gesellschafts- und Menschenbildes, das bis heute eine Mischung aus Taylorismus, preussischer Diszipingläubigkeit und einem Rest protestantischer Wirtschaftsethik im Windschatten eines Max Weber ist.

Wer der Bildung jetzt den Auftrag gibt, die Welt zu verbessern, sagt zwischen den Zeilen: „Wasch mich, aber mach mich nicht nass.“ Unsere herkömmliche Bildung kann die Welt gar nicht verbessern, weil und solange sie den Auftrag hat, Bestehendes zu bewahren. Deshalb muss die Gesellschaft erst einmal dafür sorgen, dass die Bildung sich verändert. Damit sind wir gemeint. Du und ich.

Nicht die Bildung verändert die Welt – sondern umgekehrt

Das ist aus zwei Gründen nicht so schwierig, wie es klingen mag. Erstens verändert sich die Welt so oder so. Im Moment sogar ganz radikal. Zweitens sind es immer Menschen, die die Welt verändern. Nicht die Systeme. Wirkliche Veränderungen entstehen immer ausserhalb des Bildungssystems. Krass, nicht wahr? Wozu dann Bildungssysteme? Das frag ich mich auch schon länger. Denn um Lesenschreibenrechnen zu lernen, braucht es sie ja auch nicht. Da ist längst erwiesen. Hinzu kommt: Der technische und der menschliche Fortschritt auf dieser Welt waren und sind keine direkte Folge schulischer Bildungskultur. Es waren ja nicht die Lehrer von Steve Jobs, die das iPhone erfunden haben. Die Orte, an denen solche Innovationen entstehen, haben so wenig mit Schule zu tun wie der Mathematikunterricht mit einer dynamischen Entdeckerkultur. Der erstickt sie ja eher im Keim (und redet sich am Ende immer damit raus, dass die Schüler halt zu doof und der Lehrplan zu voll seien). Die Alternative ist längst bekannt. Sie heißt Makerspace.

makerspace
Wie ein Makerspace sich vorstellt.

Digitaler Wandel als positive Herausforderung

Eine Schlussfolgerung daraus könnte lauten: Gerade, weil sich unsere Lebens-und Arbeitswelten derzeit so stark und so schnell verändern wie selten zuvor, geben wir als Gesellschaft der Bildung den Auftrag, ihren eigenen neu zu interpretieren. Lehrende, Schulleitende, Politiktreibende, Verwaltungsfachleute, Führungskräfte, Studierende, Eltern und ihre Kinder tun sich zusammen und legen gemeinsam los. Weil wir begreifen, dass und wie wir uns momentan radikal verändern, interpretieren und gestalten wir den Auftrag von Bildung neu.

Wir werden uns darüber klar, dass Bildung, Gesellschaft und Ökonomie einander nicht gegenüberstehen, sondern im selben Feld spielen. Miteinander und nicht gegeneinander. Ein neuer Auftrag für die Bildung könnte dann lauten: Menschen lebenslang alles zur Verfügung zu stellen, was diese brauchen, um sich zu Weltverbesserern heran zu bilden. Konkret:

  • Statt auf Schule zu machen ermöglicht Bildung auf allen Ebenen selbstbestimmtes, selbstverantwortetes, kollaboratives und ko-kreatives, projektorientiertes, Disziplinen übergreifendes, auf Kompetenz und Performanz hin angelegtes Lernen.
  • Um das leisten zu können, vernetzt sich Bildung jederzeit kreuz und quer mit diversen Funktionsträgern aus Kultur, Ökonomie und Gesellschaft.
  • Sie fokussiert nicht mehr länger auf das isolierte Individuum, sondern versteht Lernen endlich als das sozial-kollaborative Phänomen, das es ist.
  • Ganz wichtig: Weil Schule aufgehört hat, aus Menschen Schüler zu machen, weil sich Klassenzimmer und Seminarräume in ihre Bestandteile aufgelöst gelöst haben, organisiert sich das Lernen neu: kreativ, lustvoll, zielgerichtet, moderiert.
  • Bewertung, Selektion und Zertifizierung sind endgültig weggefallen. Nicht mehr Defizite stehen im Zentrum, sondern ausschliesslich Ressourcen und Potenziale.
  • Bildung bereitet nicht mehr auf Zukünftiges vor, sondern nimmt es mit ihren KlientInnen zusammen konsequent vorweg. Als Institution lernt die Bildung, von der Zukunft her zu denken und zu handeln, wie Lorenzo Tural Osorio das vorschlägt.

Diese Artikel erschien zuerst leicht angepasst in der pädagogischen Fachzeitschrift schulpraxis.

Autor: Christoph Schmitt, Bildungsdesigner, Coach & Supervisor ZFH

Bildungsaktivist, Bildungsdesigner, Ressourcenklempner, Ethiker, Rituals Expert. Ich unterstütze Menschen und Organisationen beim "Digital Turn" - systemisch & lösungsfokussiert. Ich coache Menschen in ihren Entwicklungsphasen und begleite in einschneidenden Lebensmomenten durch die Gestaltung von Ritualen.

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