Dass alle ungefähr denselben Rucksack mitbekommen müssen, dass also alle durch Schule so ungefähr mit demselben Gepäck ausgestattet werden müssen, höre ich immer wieder als Metapher, mit der die Notwendigkeit von Schule und Beschulung im Sinne eines Allgemeinguts begründet wird, und gleichzeitig damit durch die Blume oder unverblümt auch die allgemeine Schulpflicht, denn: wie kommen die sonst zu ihren gefüllten Rucksäcken?
Dieselben Rucksäcke – anders gefüllt?
Wenig später höre ich aus demselben System, dass das (aber irgendwie auch wieder) gar nicht geht, weil wir alle mit ganz unterschiedlichen Voraussetzungen zur Schule kommen, womöglich auch mit ganz anderen Rucksäcken: andere Elternhäuser, andere individuelle Kapazitäten, andere soziale Kompetenzen und einiges mehr.
Ein Schweizer Schulforscher, der über 30 Jahre lang mit Kindern und Jugendlichen und ihren Familien Biografie-Forschung betrieben hat, hat darüber hinaus zu Protokoll gegeben: Wir kommen alle schon sehr verschieden auf die Welt, und werden im Verlauf unserer Jugendzeit immer verschiedener.
Womöglich ist das ein der menschlichen Entwicklung innewohnendes Konzept: dass wir unverwechselbare Persönlichkeiten werden – nicht weil wir das wollen würden, sondern weil wir‘s einfach werden.
Das wiederum passt dann nicht mit der Metapher zusammen, dass Schule dafür sorgen muss, dass wir alle so ungefähr denselben Rucksack gefüllt bekommen müssten, oder einen „individuellen Rucksack“ mit demselben gefüllt (wohlhabende Menschen kaufen ihren Kindern vielleicht andere Rucksäcke als Menschen, die jeden Euro drei Mal umdrehen müssen).
Warum muss Schule dafür sorgen, dass bei allen dasselbe reinkommt? Warum muss bei allen dasselbe rein?
Wenn doch alle etwas anderes brauchen …
Wie kriege ich das mit der Erkenntnis zusammen, dass jede und jeder von uns tatsächlich irgendetwas anderes braucht, weil wir ja alle ganz verschieden sind und immer verschiedener werden, und auf lange Sicht bzw. im voraus womöglich gar nicht so genau wissen können, was das exakt ist, das wir hier und jetzt tatsächlich brauchen?
Wie viel Sinn macht dann für alle dieselbe Anzahl Unterrichtseinheiten Lesen, so und so viel Rechnen und so und so viel Schreiben? Die selbengleichen Bücher, Arbeitsblätter, Prüfungen, Orte, Räume, Zeiten?
Und wenn der Umstand, dass die einen anschliessend das eine oder alles besser können als die anderen, womöglich gar nichts mit dem zu tun hat, was die Schule in den Rucksack tut, sondern was alle anderen rein tun oder nicht, auch wenn Schule jedem und jeder den Rucksack gleich füllt – was soll das Ganze dann?
Bildungsarbeit muss dann doch eher ermöglichen, dass jeder einzelne Mensch ganz und gar seine und ihre eigene individuelle Bildungsbiografie schreiben kann. Derselbe Stoff, Inhalt und dieselben Ziele, Wege und Formate für jede und jeden, das ist dann der völlig falsche Ansatz. Immer schon. Nur wir heute wissen halt, dass das der falsche Ansatz ist.

Ja, sich diese Fragen zu stellen ist sehr wertvoll. Zumal die Kinder uns Erwachsenen immer mehr zeigen, dass sie eigentlich etwas anderes brauchen. Auffälligkeiten, Schubladisierungen, Abklärungen, Diagnosen, sogar Bournouts in jungen Jahren etc. werden immer häufiger und trotzdem wird weiter in den Rucksack gepackt. Vielmehr bräuchten unsere Kinder Erwachsene, die sie auf ihrem Weg begleiten, ihnen helfen, selbständig, selbstsicher, selbstwirksam und selbstreflektiert zu werden und eigenverantwortlich mit Blick aufs Gemeinwohl zu handeln. Lebensfragen und Lebensthemen gehören genauso zur Bildung wie Wissensvermittlung. Meiner Ansicht nach darf zuerst das eigene Handeln und das Kennenlernen der eigenen Person entdeckt resp. gelehrt werden bevor überhaupt Wissensvermittlung dazukommen kann, denn erst wenn ich mich in mir und mit mir selbst wohl fühle, kann ich mich einem gelingenden Prozess des Lernens öffnen.
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