
In welchen Kontexten werde ich als Lernbegleiter wirksam? Die meisten Vertreter der lehrenden Berufe sagen: wenn ich als Experte Content liefere. Sauber aufbereitet. Wenn’s sein muss auch digital. Solche Experten halten sich für das Lernen und für die Entwicklung ihrer Klienten nicht zuständig. Aber es gibt noch ein anderes Mindset zu der Frage, wie ich für lernende Menschen nützlich werden kann.
In diesem Mindset ist Lernen nicht auf eine zentrale (oder frontale) Quelle fokussiert, zu der alle Wissensdurstigen kommen, um sich dort zu versorgen, um ihre Gefäße zu füllen und um das kostbare Gut dann anzuwenden. Eine Quelle, die sich normativ gibt, und die Reinheit für sich postuliert. Eine Reinheit und Klarheit der Lehre. Eine Quelle, die für sich allein beansprucht, Qualität zu garantieren, während der Rest der Welt in die Rollen der Konsumierenden und der Reproduzierenden gebannt ist.
So funktioniert Bildung bis heute – jetzt halt zunehmend digital.
Dass ich selber, um zu wirken, andere Kontexte brauche, hat biografische Gründe. Ich habe in dem Moment angefangen, die Welt aktiv zu befragen, mich neugierig in ihr zu bewegen und fündig zu werden, als sich mir ein Ausweg aus diesen Besserwisser-Kontexten eröffnet hat. Als ich für mich selbst erkannt hatte, dass dieses Besserwisser-Setting das eigentliche Problem ist, weil es jenes Lernen a priori verhindert, das sich die Welt lebenslang und lustvoll selbst erschließt. Warum?
Weil im Besserwisser-Setting immer jemand da ist (und sei es nur virtuell), der es besser weiß. Genauer. Jemand, der oder die dich korrigieren wird. Die das Haar in der Suppe finden wird. Die dir in jedem Moment die Distanz vor Augen führt zwischen dem, was du zu wissen glaubst und dem, was sie weiß. Und kann. Clark Aldrich: „What a person in a classroom learns, is how to be a person in a classroom.
Das motiviert nicht. Es demotiviert. Es deaktiviert die Neugier, die Lust, das Suchen.
Irgendwann habe ich mich in Lern-Kontexten wiedergefunden, in denen Menschen sich nicht dafür interessierten, ihr Wissen und dessen Normativität zu verbreiten, sondern dafür, wie es um mich und uns als Suchende steht. Als Lernende. Bis heute erkenne ich diese Menschen daran, dass sie mir Fragen stellen. Nicht solche, die mich entlarven sollen, keine rhetorischen Fragen oder solche, auf die sie die Antwort schon wissen, zu der sie bereits ansetzen, wenn ich den Mund öffne. Menschen, die nicht fragen um zu erwidern, sondern aus Interesse an meiner Innenwelt, an meiner Weltsicht, an mir.
Fragen also, auf die weder sie noch ich die Antworten wissen in dem Moment, in dem sie die Fragen gestellt hatten. Hier habe ich zum ersten Mal „Augenhöhe“ erlebt. Als mich Menschen eingeladen haben, gemeinsam auf die Suche nach Lösungen zu gehen.

In diesen Situationen entstand in mir eine erste Ahnung von Selbstwirksamkeit. Dass es auf mich ankommt in Prozessen des Lernens. Nicht als Konsument, sondern als Gestalter. Dass es auch auf meinen Beitrag ankommt, der nicht darin besteht, Besserwissern ihr Besserwissen abzukaufen.
Menschen, die mir auf eine ganz wunderbare, weil wertschätzende Art dabei geholfen haben, selbst herauszufinden, in welche Richtungen ich mich entwickeln kann und möchte – und welches Wissen ich dazu brauche und wo ich das finde. Die mir eben gerade nicht „einen Weg gezeigt haben“, sondern die mich dabei unterstützt haben, meinen eigenen zu entwickeln. Nicht zu finden, sondern zu entwickeln.
Wohl deshalb bin ich heute so fest davon überzeugt, dass „Wissen“ als das wertvollste Werkzeug, das wir haben um uns in dieser Welt zu Recht zu finden und sie zu gestalten, nicht „ausgeliefert“ werden kann wie eine Ware. Es entsteht in diesen Suchprozessen, in die sich Menschen ganz und gar freiwillig und selbstgesteuert einlassen – und in denen sie sich auf sich selbst und auf ihre Weggenoss_innen verlassen.
Es hat lange gebraucht, bis ich diesen Unterschied begriffen habe: Anders als im steilen Gebirge liegt in Selbst- und Weltfindungsprozessen die Gefahr nicht darin, dass ich einen falschen Schritt mache und abstürze. Die Gefahr liegt vielmehr darin, dass ich nie lerne, mir meine eigene Welt selbstständig zu erlaufen, weil sie immer schon mit Besserwissern bevölkert ist.
Einer der für mich bedeutendsten Unterschiede zwischen den heute noch weit verbreiteten, hoch bezahlten und fast immer (!) staatlich abgesicherten Besserwissern und den echten Lernbegleiter_innen ist der, dass letztere nicht nur bereit sind, auch von ihren Mitmenschen zu lernen. Sie sind oft regelrecht begierig darauf, in Lernprozessen mit Jung & Alt dazu zu lernen: neue Perspektiven in uralten Materien zu entdecken, die Serendipity zu genießen, die in zufälligen Begegnungen, Umwegen und scheinbaren Sackgassen entdeckt werden will. Hier geht es nicht darum, wer sich von wem „etwas sagen lässt“, sondern darum, dass ich neugierig bin auf das, was mein Gegenüber mir zu sagen hat. Nicht einfach inhaltlich, sondern viel umfassender.
In eben solchen, offenen Kontexten werde ich als Lernbegleiter wirksam. Kontexte, die Beziehungen zwischen Menschen ermöglichen, die von scheinheiligen Hierarchien befreit sind, in denen Menschen miteinander am Lernen sind, in denen eine Fülle an Erweiterungen, Vertiefungen, Verweisen, an neuen Verknüpfungsmöglichkeiten steckt.
Kontexte, in denen es uns gelingt, auf Augenhöhe mit anderen lernenden Menschen (und also auch mit mir selbst) zu kommunizieren. Geprägt von tiefem Respekt und offener Wertschätzung gegenüber der Autonomie und den Wachstumspotenzialen meines Gegenübers.