Dieser Beitrag entstand im Dialog mit ChatGPT. Ich habe Ideen, Argumente und Formulierungen gemeinsam mit dem Sprachmodell entwickelt, überarbeitet und pointiert – als Teil eines experimentellen Schreibprozesses mit künstlicher Intelligenz. Bilder: Midjourney und Grundacherschule
Du bist ein Vater oder eine Mutter und lebst irgendwo in der Schweiz. Du hast selbst eine ganz normale Schulzeit erlebt, vielleicht auch geschätzt – und jetzt passiert (völlig fiktiv und aus der Luft gegriffen) folgendes: Du liest in den sozialen Medien, dass es zu einer Volksabstimmung über die Abschaffung der Schulnoten kommen soll. Die Begründung: Das heutige Prüfungs- und Notensystem behindere Kinder in ihrer Entwicklung. Es bereite sie nicht wirklich auf ihre Zukunft vor. Prüfungen und Noten, so heisst es jetzt, stammten aus einer Zeit, in der Schule auf Gehorsam, Repetition und Auslese ausgerichtet war. Für die Zukunft unserer Kinder bräuchten wir jedoch ein System, das sie nicht aussortiert sondern stark macht. Das sei kein Wohlfühlprogramm sondern eine ernst gemeinte Antwort auf eine sich rasant verändernde Welt.
Die Frage, die dir jetzt durch den Kopf geht: Wenn die noch gar nicht wissen, welche Zukunft auf unsere Kinder zukommt, warum machen sie dann nicht einfach mit dem weiter, was sie haben? Wieso wollen sie mit etwas aufhören, ohne dass sie schon etwas Neues haben?
Expertinnen und Experten reden immer von der Zukunft der Kinder:
„Dein Kind soll in eine Zukunft hineinwachsen, die heute niemand genau kennt. Eine Welt, in der Berufe verschwinden, neue entstehen, Computer mitdenken, Entscheidungen vorbereiten und sogar Texte schreiben.“
Sie fragen: „Was brauchen Kinder dafür? Was müssen sie mitbringen? Und dann fallen Begriffe wie selbstständiges Denken, kritische Urteilsfähigkeit, Zusammenarbeit, Neugier, Initiative, Verantwortung.“
Doch warum, so fragst du dich, spricht all das gegen das bewährte Prüfungssystem und gegen Schulnoten?
Auf der Suche nach einer Antwort googelst du ein wenig und landest immer wieder auf Seiten, die Schulnoten kritisch beurteilen:
Noten sagen zu wenig über das aus, was wirklich zählt. Eine Note zeigt meist nur, was jemand in einer Prüfungssituation reproduzieren konnte – aber nicht, wie jemand denkt, welche Ideen jemand hat, oder wie jemand Probleme löst, die nicht schon im Schulbuch standen. Kurz: Die wichtigsten Fähigkeiten bleiben unsichtbar. Prüfungen erzeugen Stress – aber kein echtes Lernen.
Wer für eine Prüfung lernt, lernt oft kurzfristig, oberflächlich, unter Druck. Viele Kinder vergessen den Stoff nachher schnell wieder. Was sie dabei nicht lernen: Wie lerne ich eigentlich gut? Wie bleibe ich dran, wenn es schwierig wird? Genau das brauchen sie aber später.
Bewertungen drücken immer auf das Selbstbild eines Kindes. Wenn ein Kind immer wieder die Botschaft bekommt: „Du bist eine Vier“ – dann kann das dazu führen, dass es aufhört, sich Mühe zu geben. Es glaubt, es sei halt „nicht gut in Mathe“ oder „einfach nicht sprachbegabt“. Dabei hat es vielleicht nur länger gebraucht – oder andere Stärken, die auf diesem Weg nicht sichtbar werden.
Das geht dir jetzt alles ein bisschen zu schnell. Du fragst dich:
Wenn das alles stimmt, dann müsste Schule doch einfach ihre Prüfungen anpassen und die Art, wie Noten zu Stande kommen – aber grundsätzlich gegen Noten spricht das alles nicht.
Mit genau dieser Frage wendest du dich jetzt an ChatGPT und bekommst folgende Antwort:
Noten sind immer ein grobes, normiertes Bewertungssystem.
Auch wenn du Prüfungen „moderner“ machen würdest (z. B. mit Projekten oder Gruppenarbeiten), bleibst du im alten Raster: Eine Zahl zwischen 1 und 6, die am Schluss sagt: Gut – mittel – ungenügend. Das ist wie wenn ich den Blutdruck eines Menschen mit einem Lineal messen würde. Ich messe dann zwar etwas – aber eben nicht das Richtige.
Beispiel: Ein Kind hat über Wochen eine kreative Lösung für ein reales Problem entwickelt. Es hat gelernt, recherchiert, diskutiert, verworfen, wieder aufgebaut. Am Schluss muss die Lehrperson trotzdem sagen: „Das ist jetzt eine 4,5.“
Das wird dem Lernprozess nicht gerecht – es zerquetscht ihn durch eine Zahl.
Noten erzeugen Konkurrenz – statt Entwicklung
Selbst bei noch so gut gemachten Prüfungen wird das Ergebnis in eine Rangordnung gezwungen. Kinder vergleichen sich. Eltern vergleichen ihre Kinder. Die Schule wird zum Wettkampfplatz. Aber die Zukunft braucht keine Einzelkämpfer. Sie braucht Menschen, die kollaborativ denken, die eigene Fehler reflektieren können, nicht verstecken müssen. Noten verhindern genau das.
Das System bleibt auf Selektion ausgerichtet
Solange Noten entscheiden über Gymnasium oder Lehre, über „förderwürdig“ oder nicht, bleibt das System ein Auslese-Instrument. Es ist kein Entwicklungsraum. Wir können also Prüfungen ändern, modernisieren, digitalisieren, aber solange das Ziel ein Vergleich und eine Selektion ist, bleibt das System gleich.
Kurz gesagt: Noten sind wie ein Thermometer, das du auf eine Pflanze hältst, um zu messen, ob sie gedeiht. Was sie in Wirklichkeit braucht, ist Licht, Wasser, gute Erde – nicht einen „Wert“, der sie mit anderen vergleicht.
Mit dieser Antwort bist du nicht zufrieden, denn deine Erfahrung zeigt: in der Berufswelt und auf dem Arbeitsmarkt geht es um Konkurrenz, und zwar immer.
Da müssen sich deine Kinder doch auch durchsetzen gegenüber anderen, so wie im Schul- und Notensystem. Später im Leben gibt es doch auch Konkurrenz – warum soll mein Kind das also nicht schon in der Schule lernen? Du fütterst also ChatGPT erneut mit deinem Einwand und erhältst folgende Reaktion:

Ja, das hören wir oft. Und es stimmt: Es gibt Konkurrenz im Leben. Aber sie ist heute nicht mehr das, was sie vielleicht einmal war.
Die Welt hat sich verändert. Wer heute erfolgreich sein will – im Beruf, im Studium, im Leben, der oder die braucht ganz andere Fähigkeiten als noch vor wenigen Jahren. Es geht nicht mehr primär um das Beherrschen von Prüfungsstoff oder darum, sich gegen andere durchzusetzen. Was heute zählt, ist Problemlösefähigkeit, Teamarbeit, Selbstorganisation, Lernbereitschaft, Kreativität.
Das sagen nicht nur Bildungsforscher:innen – das sagen auch Google, die ETH Zürich, das Weltwirtschaftsforum und selbst das Schweizer Staatssekretariat für Bildung.
Google: Zukunftskompetenzen im Bildungsbereich. Google hat in Zusammenarbeit mit dem Economist Intelligence Unit eine Studie durchgeführt, die die Schlüsselkompetenzen identifiziert, die Schüler:innen benötigen, um in der zukünftigen Arbeitswelt erfolgreich zu sein. Die Studie hebt insbesondere Problemlösungsfähigkeiten, Teamarbeit, Kommunikation und Kreativität hervor.
ETH Zürich: Förderung überfachlicher Kompetenzen. Die ETH Zürich hat ein Kompetenzraster entwickelt, das neben fachspezifischen Kenntnissen auch überfachliche Kompetenzen wie soziale und persönliche Fähigkeiten betont. Dieses Raster unterstützt Dozierende dabei, Lernziele zu formulieren, die Studierenden helfen, sich auf die Anforderungen der zukünftigen Arbeitswelt vorzubereiten.
Weltwirtschaftsforum (WEF): Zukunft der Arbeit. Im „Future of Jobs Report 2025“ des WEF wird betont, dass Kompetenzen wie analytisches Denken, Kreativität und emotionale Intelligenz zunehmend an Bedeutung gewinnen. Arbeitgeber weltweit suchen vermehrt nach Mitarbeitenden, die über diese Fähigkeiten verfügen, um den Herausforderungen der sich wandelnden Arbeitswelt gerecht zu werden.
Schweizer Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI): Das SBFI betont die Bedeutung von Anpassungsfähigkeit und kontinuierlicher Weiterentwicklung in der Berufs- und Weiterbildung, um den sich wandelnden Anforderungen des Arbeitsmarktes gerecht zu werden. Dies unterstreicht die Notwendigkeit von Kompetenzen wie Selbstorganisation und lebenslangem Lernen.
Die Arbeitswelt braucht Menschen mit Ideen, Haltung und Teamgeist – keine Notenspitzenreiter. Wer also Konkurrenz wirklich ernst nimmt, muss Kinder stärken. Er oder sie sortiert sie nicht.
Schule ist kein Vorhof zum Kapitalismus, und sie ist kein Trainingscamp für Marktverhalten. Schule ist – oder sollte sein – ein Entwicklungsraum. Ein Ort, an dem Kinder sich ausprobieren können. Ein Schutzraum, in dem sie sich kennenlernen können, bevor sie sich vergleichen müssen. Ein Raum, der befähigt – nicht abhärtet.
Wer Kinder schon früh in Konkurrenz zwingt, nimmt ihnen die Chance, ihre eigene Stimme zu finden, ihren eigenen Weg. Denn wenn ein Kind nur deshalb motiviert ist, weil es besser sein will als die anderen, dann bleibt es abhängig vom Vergleich. Es wird unsicher, sobald jemand kommt, der „besser“ ist.
Echtes Selbstvertrauen entsteht nicht durch Sieg, sondern durch Selbstwirksamkeit: Ich habe verstanden. Ich bin gewachsen. Ich bin drangeblieben. Ich kann etwas, was ich vorher nicht konnte. Und genau das passiert nicht durch Noten – sondern durch ehrliche Rückmeldung, durch Erfahrung, durch Vertrauen.
Das ist übrigens auch der Grund, warum eine Schule, die ständig auf den Vergleich setzt, etwas ganz anderes trainiert als Stärke: Sie trainiert Angst. Konkurrenz erzeugt Prüfungsstress, Versagensängste, Leistungsdruck, Scham. Das sind keine bedauerlichen Nebenwirkungen. Das ist der Preis – ein hoher Preis für eine Schule, die Kinder durch Prüfungen und Noten gegeneinander stellt.
Die Kinder, die wir stark machen wollen, brauchen keine Angst. Sie brauchen Mut, Freude, Neugier, Kooperationsfähigkeit. Und das entfalten sie in einer entwicklungsorientierten Schule besser als in jedem Konkurrenzsystem.
Und wieder kommt dir ein Einwand in den Sinn: Aber Kinder wollen doch gewinnen! Sie vergleichen sich ständig. Beim Spielen, beim Sport, sogar bei den Hausaufgaben. Konkurrenz liegt doch in ihrer Natur.
Also warum sollte Schule nicht genau das aufnehmen und fördern? Aus dieser Perspektive machen Noten doch total Sinn!
Die KI antwortet: Stimmt, Kinder wollen gewinnen. Sie wollen sich messen. Sie haben Ehrgeiz. Aber es lohnt sich, genauer hinzuschauen, worum es ihnen dabei wirklich geht.
Wenn Kinder im Spiel gewinnen wollen, dann nicht primär aus dem Drang heraus, andere zu besiegen, sondern weil sie sich selbst erleben wollen: ihre Fähigkeiten, ihr Wachstum, ihren Mut, ihre Ideen. Natürlich wollen Kinder gewinnen – aber sie spielen, um sich zu erleben, nicht um zu siegen.
Aber wenn die Anstrengung nur entsteht, um (wieder) besser als andere zu werden, dann geht es um Abhängigkeit. Es nicht um das Lernen sondern um das Gewinnen, und genau das macht das Selbstwertgefühl anfällig. Denn es wird ständig verglichen. Der Selbstwert muss immer wieder neu bewiesen werden. Er gerät ins Wanken, sobald jemand kommt, der schneller, begabter oder einfach besser vorbereitet ist.
Und vor allem: Im Spiel ist die Konkurrenz freiwillig, temporär, spielerisch. Ein Kind kann verlieren und gleich nochmal spielen. Es darf gewinnen ohne jemanden zu demütigen. Es lernt dabei nicht, dass es besser als andere ist, sondern dass es etwas geschafft hat.
In der Schule aber wirkt Konkurrenz anders. Sie ist nicht frei gewählt sondern strukturell eingebaut. Sie ist nicht zeitlich begrenzt, sondern sie wiederholt sich Woche für Woche. Und sie hat reale Konsequenzen: Noten, Übergänge, Laufbahnen, Selbstbilder.

Konkurrenz im Spiel stärkt das Ich. Konkurrenz in der Schule macht Selbstwert abhängig vom Abschneiden.
Es ist ein Unterschied, ob ich motiviert bin, weil ich besser sein möchte, oder weil ich Angst habe, schlechter zu sein. Wer nur stark ist im Vergleich, bleibt abhängig. Wer sich nur über das Bessersein definiert, macht sein Selbstwertgefühl abhängig vom Vergleich – und verliert die innere Sicherheit, sobald jemand kommt, der oder die „besser“ ist.
Anstrengung ist wichtig. Entscheidend ist jedoch die Quelle dieser Anstrengung. Wenn ein Kind sich anstrengt, weil es etwas verstehen will, weil es wachsen will, weil es selbst spürt: „Ich kann das schaffen“, dann entsteht Selbstwirksamkeit. Dann ist die Motivation stabil, eigenständig, langfristig tragfähig.
Wer sich nur über das Bessersein definiert, lernt nicht, mit sich selbst in Kontakt zu kommen und zu bleiben sondern wird getrieben – von aussen, vom Blick der anderen. Das kann kurzfristig zu Leistung führen. Aber es macht Kinder auf Dauer anfällig für Druck, Perfektionismus, Angst vor Versagen und Erschöpfung.
Es geht also nicht darum, den natürlichen Ehrgeiz von Kindern zu unterdrücken, sondern darum, ihm eine andere Richtung zu geben: Nicht „Ich will gewinnen – also muss jemand verlieren“, sondern: „Ich will wachsen – und kann das auch mit anderen gemeinsam.“
Denn was Kinder noch viel tiefer motiviert als das Gewinnen, ist Bedeutsamkeit. Das Gefühl: Ich zähle. Ich werde gesehen. Ich kann etwas beitragen. Dafür braucht es eine Schule, die nicht selektiert, sondern stärkt; die nicht vergleicht, sondern begleitet; die nicht ständig fragt, wer vorne ist, sondern wohin jede:r unterwegs ist.
Wettbewerb motiviert – aber er darf nicht über Zugehörigkeit entscheiden. Kinder brauchen Räume, in denen sie sich entwickeln dürfen, ohne sich beweisen zu müssen.
Allerdings verstehst du immer noch nicht so ganz, warum das gegen Noten sprechen sollte. Sie sind doch eine wunderbare Möglichkeit für Kinder und Jugendliche, um zu sehen, wo sie stehen, was sie können und was nicht.
Oder: Woher soll denn ein Kind wissen, was es wirklich kann, wenn es keine Noten mehr bekommt? Eine Note sagt dem Kind doch ganz genau, wo steht und was es kann, und was es noch nicht kann.
Das ist eine berechtigte Frage, sagt die KI, und auf den ersten Blick klingt es ja auch logisch: Wenn etwas wichtig ist, sollte man es auch bewerten können. Aber genau da liegt das Problem.
Noten tun so, als könne man komplexe, lebendige Fähigkeiten in eine Zahl pressen. Doch das wird diesen Fähigkeiten nicht gerecht. Es macht sie sogar unsichtbar. Stell dir vor: Dein Kind zeigt Empathie, löst Konflikte, bleibt dran, denkt originell. Was genau wäre dann eine 3,5 in „Teamfähigkeit“? In welchem Moment? In welchem Team? Unter welchem Druck? Und warum nicht 4,0 oder 2,5?
Solche Qualitäten sind dynamisch, situationsabhängig, nicht objektivierbar. Sie brauchen Gespräche, Beobachtung, Begleitung – keine Zahl, denn sobald eine Zahl ins Spiel kommt, verschiebt sich der Fokus: Kinder fragen nicht mehr „Wie kann ich lernen?“, sondern „Was muss ich tun für die Fünf?“ Sie lernen nett zu sein, wenn es drauf ankommt. Sie vergleichen sich: „Ich war hilfsbereiter als sie – warum habe ich nur eine 4,5?“, und sie beginnen zu performen statt zu lernen.
Natürlich ist nichts dagegen einzuwenden, freundlich zu sein, wenn es darauf ankommt. Aber genau das ist der Punkt: Freundlichkeit, die aus Anpassung entsteht, ist nicht dasselbe wie Freundlichkeit, die aus Haltung kommt. Wenn Kinder freundlich sind, weil sie dafür eine gute Note erwarten, dann ist das keine soziale Kompetenz – sondern strategisches Verhalten:
Sie „performen“ Freundlichkeit, weil sie wissen, dass es benotet wird. Sie sind hilfsbereit, solange es nützt aber nicht unbedingt, wenn es schwierig, unpopulär oder unbeobachtet ist, und sie lernen dabei nicht: „Ich will kooperieren“ sondern: „Ich sollte kooperieren – sonst gibt’s Abzug.“ Das mag auf den ersten Blick gut aussehen – aber es ist nicht stabil. Es ist eine Maske, kein Charakter.
Lehrer:innen berichten, dass heute mehr Kinder als früher frech, unkonzentriert oder übergriffig auftreten. Da mag etwas dran sein, aber Noten als Verhaltenssteuerung helfen da nicht nachhaltig. Wer sich nur gut verhält, wenn’s benotet wird, wird nicht automatisch respektvoll. Er und sie werden taktisch, nicht wertorientiert. Wirklich tragfähige Sozialkompetenz entsteht nicht durch Belohnung oder Strafe, sondern durch Beziehung, Vorbild und Reflexion.
Eine Freundlichkeit, die auf Wirkung zielt, ist nicht dieselbe wie eine Freundlichkeit, die aus Überzeugung kommt. Wenn Schule echtes Miteinander fördern will, dann braucht es Beziehungsarbeit, nicht Bewertung, und es braucht Räume, in denen Kinder erleben, warum es Sinn macht, zu kooperieren, nicht nur, dass es belohnt wird.
Egal, wie wir es drehen und wenden: Noten führen nicht zu Entwicklung, sondern zu Anpassung. Noten machen aus Entwicklung ein Urteil. Ein Kind, das heute Mühe hat mit Selbstorganisation, kann morgen riesige Fortschritte machen. Aber wenn es dafür eine 3 bekommen hat, denkt es womöglich: „Ich bin halt nicht gut darin.“ Und genau das blockiert Entwicklung.
Was stattdessen hilft, ist Feedback. Nicht: „Du bekommst eine 4,5 in Kreativität“ sondern: „Du hast tolle Ideen eingebracht und warst mutig, und du bist nach der ersten Kritik zurückgezuckt. Lass uns zusammen überlegen, wie du nächstes Mal dranbleibst.“ Das ist konkret, ehrlich, aufbauend. Es vergleicht nicht – es stärkt.
Noten sind wie Stempel. Feedback hingegen ist wie ein Kompass. Und genau darum geht es: Wenn wir ernsthaft wollen, dass Kinder sich entwickeln, dann brauchen sie keine Bewertungen, die sie vergleichen sondern Rückmeldungen, die ihnen zeigen, wo sie stehen und wie es für sie weitergehen kann. Ich kann vieles messen. Aber nicht alles, was zählt, lässt sich benoten. Und nicht alles, was ich benoten kann, ist wirklich wichtig.

Und dann kommt sie – diese eine, vielleicht ehrlichste Frage: Wenn doch all diese Argumente gegen Noten stimmen – warum halten dann praktisch alle Schulen an ihnen fest?
Oder: Wenn Schulen, die doch Expertinnen für Bildung sind, weiterhin Noten geben, dann muss doch irgendetwas dran sein.
Die Antwort von ChatGPT ist keine schnelle. Und sie ist keine bequeme, denn sie zeigt: Schule ist kein neutrales System. Schule ist nicht einfach ein pädagogischer Raum, der sich rational optimieren lässt. Sie ist ein historisches, politisches, kulturelles Gebilde. Noten sind darin zwar nicht notwendig, aber sie haben zentrale Funktionen:
Erstens: Noten wirken vermeintlich „objektiv“
Eine Zahl fühlt sich gerecht an. Eine 5 auf einem Blatt Papier – das ist eine „harte Tatsache“. Noten geben das Gefühl von Klarheit. Eine 5 wirkt wie ein Beweis: sachlich, neutral, unanfechtbar. So entsteht der Eindruck: Die Leistung spricht für sich. Doch in Wahrheit wird damit Komplexität reduziert – und Verantwortung wird in eine Zahl ausgelagert.
Die Objektivität („Ich habe fair benotet“) ist eine Illusion. Kein Mensch ist eine 4,5. Kein Text ist eine 3. Kein Verhalten ist eine 5. Lernen ist kein Temperaturwert. Lernen ist lebendig. Es entsteht im Dialog, im Kontext, in Beziehung. Und das entzieht sich der Illusion einfacher Messbarkeit.
Zweitens: Noten schaffen Ordnung – nicht Entwicklung
Noten helfen, Kinder zu sortieren: für Übergänge, Zuteilungen, Fördergelder. Sie helfen Behörden beim Vergleichen von Schulen. Noten entlasten die Politik, weil sie suggerieren, dass Leistung einfach eine Funktion von Fleiss ist: Wer genug tut, ist gut. Das klingt vernünftig – und ist genau deshalb gefährlich.
Denn daraus entsteht ein stiller Umkehrschluss: Wer nicht gut abschneidet, hat sich wohl nicht genug angestrengt. Und genau das ist falsch – und es ist blind für die gesellschaftlichen Zusammenhänge.
Leistung ist nie nur das Ergebnis von Fleiss. Sie ist abhängig von Startbedingungen, sozialen Kontexten, psychischer Sicherheit, Beziehungserfahrungen und strukturellen Chancen.
Die Vorstellung, man müsse nur „genug tun“, um erfolgreich zu sein, stabilisiert ein System, das den Unterschied zwischen Chancengleichheit und Ergebnisgleichheit systematisch verwischt. Das ist aber kein pädagogisches Argument. Es ist ein System-Erhaltungsargument – das sich als Leistungsgerechtigkeit tarnt.
Drittens: Noten sind ein tiefes kulturelles Erbe
Unsere Gesellschaft ist durchzogen vom Leistungsdenken; vom Vergleichen; von Zertifikaten. Für viele Menschen – auch Lehrpersonen –ist „ohne Noten“ gleichbedeutend mit ohne Ordnung, ohne Kontrolle, ohne Disziplin. Das ist zwar nicht rational, und es ist falsch, aber es sitzt tief. Denn viele von uns wurden selbst geprägt von einem System, das früh sagte: „Du bist eine 3, eine 5, ein Problemfall, ein Talent.“ Das haben wir verinnerlicht – auch wenn es uns verletzt hat.
Viertens: Es braucht Mut, Kontrolle loszulassen
Was wäre die Alternative? Vertrauen in Entwicklung statt Bewertung? Vertrauen in Beziehung statt Punktzahl? Vertrauen in Feedback statt Selektion? Das klingt gut. Aber es fordert uns heraus. Denn es verändert nicht nur das Instrument sondern das Menschenbild. Und genau deshalb bleibt es oft beim Alten. Nicht, weil wir nichts wüssten, sondern weil uns der Mut fehlt, die Konsequenz zu ziehen.
Fünftens: Veränderung beginnt nicht bei Erkenntnis sondern bei Verantwortung
Viele wissen längst, dass Noten problematisch sind. Aber wer sie abschafft, muss Alternativen entwickeln; muss Eltern mitnehmen und Kinder begleiten; muss Lehrpersonen fortbilden; muss neue Formen von Feedback finden, von Orientierung, von Übergängen.
Das ist aufwändig. Es braucht Ressourcen, es braucht Rückhalt, es braucht politische Entscheidungskraft. Und es braucht eine öffentliche Debatte, die bereit ist, alte Gewissheiten zu hinterfragen.
Und deshalb, lieber Vater, liebe Mutter: ja – du hast recht. Das Notenthema ist widersprüchlich. Schule weiss oft, dass Noten schaden, und sie benutzt sie trotzdem. Nicht, weil das besser ist. Sondern weil es einfacher ist. Genau deshalb braucht es jetzt eine Bewegung: von innen und von aussen.
- Von Eltern, die fragen: „Was stärkt mein Kind wirklich – nicht nur auf dem Papier?“
- Von Lehrpersonen, die sagen: „Ich will nicht mehr sortieren – ich will begleiten.“
- Von Schulen, die zeigen: „Es geht auch anders – menschlicher, ehrlicher, lernwirksam.“
Und eine Schule, die jetzt beginnt neue Wege zu gehen, ist zwar noch nicht in der Mehrheit – ganz im Gegenteil. Aber sie ist nicht naiv. Sie ist nicht radikal. Sie ist konsequent, weil sie verstanden hat: Kinder brauchen keinen Platz im Ranking. Sie brauchen einen Ort, an dem sie wachsen dürfen.

