Ich schreibe gerade mit ChatGPT als Sparringpartner an einem neuen Buch mit dem Arbeitstitel „Die lernende Gesellschaft. Von der Beschulung zur Befreiung des Lernens“. In den zahlreichen Dialogen, Diskussionen, Schärfungen und Reformulierungen taucht immer wieder die Frage auf: Was, wenn das aktuelle Schulsystem kein Teil der Lösung mehr ist? Also habe ich ChatGPT vorgeschlagen, dass wir darüber einen Blogpost schreiben, auf dem Hintergrund unserer bisherigen Produktion. Folgendes kam dabei raus:
Was, wenn das Grundprinzip von Schule nicht mehr ausreicht? Was, wenn es nicht einfach weiterentwickelt oder angepasst werden kann, sondern durch etwas Neues ersetzt werden muss – etwas, das den immensen ökologischen, kulturellen, ökonomischen, gesellschaftlichen und technologischen Herausforderungen unserer Zeit gerecht wird?
Warum wird dieser Gedanke bisher kaum gedacht? Warum gehen wir nach wie vor davon aus, dass Schule in jedem Fall Teil der Lösung sein wird, und nicht, dass die Herausforderungen so umfassend sind, dass an der Stelle, wo bisher Schule war, etwas anderes entstehen muss?
Diese Fragen stellen die gegenwärtige Diskussion über Bildung auf den Kopf und sind von grundlegender Bedeutung. Warum wird selten hinterfragt, ob das Prinzip Schule an sich angesichts der heutigen und zukünftigen Herausforderungen noch angemessen ist? Die Beobachtung, dass viele Diskussionen von der Annahme ausgehen, Schule könne durch Transformation oder Anpassung automatisch Teil der Lösung sein, öffnet den Blick auf ein tief verwurzeltes Paradigma, das ich in Frage stelle.
Warum wird Schule als gegeben angesehen?
Historische Kontinuität: Schule ist seit Jahrhunderten die zentrale Institution zur Vermittlung von Wissen und sozialer Ordnung. Ihre Existenz wird kaum hinterfragt, da sie als „natürlicher“ Bestandteil jeder Gesellschaft wahrgenommen wird.
Institutionalisierte Denkweise: Bildung wird fast ausschliesslich institutionell gedacht. Eine Welt ohne Schule erscheint vielen unvorstellbar, weil wir Alternativen jenseits der etablierten Strukturen nur selten in Betracht ziehen.
Gesellschaftlicher Konsens: Schule dient nicht nur der Bildung, sondern erfüllt auch soziale Funktionen (z. B. Kinderbetreuung, soziale Integration). Diese Rollen zu ersetzen, wirkt auf den ersten Blick nahezu unmöglich.
Die Grenzen des Prinzips Schule
Fixierung auf Normierung und Standardisierung: Das Prinzip Schule basiert auf der Vorstellung, dass alle Schüler denselben Inhalt zur selben Zeit auf dieselbe Weise lernen müssen. Diese Gleichschaltung steht im Widerspruch zu den dynamischen, individualisierten Anforderungen der Welt.
Hierarchische Struktur: Schulen reproduzieren Machtstrukturen, in denen Lehrer:innen Wissen „vermitteln“ und Schüler „empfangen“. Diese asymmetrische Dynamik behindert kritisches Denken, Eigenverantwortung und kollaborative Problemlösung. Wir zwingen kritisches Denken quasi in einen Rollstuhl, damit es Laufen lernt.
Fokussierung auf Prüfungen: Das Prüfungswesen dominiert den Schulalltag und fördert eine Kultur der Konformität. Es hemmt Kreativität und Innovation, die für die Lösung komplexer Probleme unerlässlich sind. Zwar gibt es heute immer mehr kreative Prüfungen, aber Kreativität selbst lässt sich nicht abprüfen.
Warum wird eine radikale Alternative kaum gedacht?
Kognitive Trägheit: Gesellschaften sind in bestehenden Denkmustern gefangen. Es ist einfacher, über Reformen zu sprechen als über Revolutionen, weil das Unbekannte Angst macht – und weil wir bis heute der Überzeugung sind, dass sich das Unbekannte schon irgendwie uns anpassen wird, nicht zuletzt weil und wenn wir es dazu zwingen.
Fehlende Experimente: Bisher gibt es wenige gross angelegte Versuche, die Bildungsarbeit vollständig neu denken. Die Angst vor Versagen und sozialem Chaos lähmt innovative Ansätze.
Politische und wirtschaftliche Interessen: Schule ist eng mit politischen und ökonomischen Strukturen verwoben. Sie dient nicht nur der Bildung, sondern auch der Reproduktion von Arbeitskräften und der Stabilisierung von Machtverhältnissen. Ein radikales Umdenken könnte diese Grundpfeiler noch stärker erschüttern.
Was hindert uns, diesen Gedanken zu denken?
Angst vor Kontrollverlust: Schule ist ein Instrument sozialer Kontrolle. Ein alternatives Modell, das stärker auf Selbstorganisation basiert, würde diese Kontrolle reduzieren und könnte von bestehenden Machtstrukturen als Bedrohung wahrgenommen werden.
Mangel an Vorstellungskraft: Der Gedanke, dass es ohne Schule nicht geht, ist tief in unserer Kultur verankert. Die Vorstellung einer Welt ohne Schule erscheint utopisch oder chaotisch.
Komplexität der Umsetzung: Der Übergang von einem etablierten Schulsystem zu etwas völlig Neuem würde Übergangszeiten und möglicherweise auch Brüche mit sich bringen, die viele Entscheidungsträger scheuen.
Fazit: Schule als Prinzip in Frage stellen
Die gegenwärtigen Herausforderungen sind so umfassend und miteinander verwoben, dass inkrementelle Reformen nicht ausreichen. Es ist legitim und notwendig, das Prinzip Schule als Ganzes zu hinterfragen. Vielleicht ist der zentrale Grund, warum dieser Gedanke selten gedacht wird: dass er radikale Konsequenzen hätte.
Wenn nun aber Schule nicht die Lösung ist, sondern Teil des Problems, wie könnte eine Welt aussehen, in der Lernen sich neu organisiert – und durch welche Strukturen könnten wir Schule ersetzen?

Die neue Form ist womöglich zuerst eine neue Kultur, eine neue Lernkultur, in der wir uns als eine lernende Gesellschaft begreifen. Die institutionelle Seite dieser Lernkultur würde dann ganz anders aussehen als bisher und mit den geltenden Überzeugungen und Prinzipien von Beschulung brechen.
Hier sind meine Vorschläge für Lernökosysteme, die nicht mehr an traditionelle Schule erinnern, sondern etwas grundlegend Neues sind.
Sie sind eine nach wie vor reifende Frucht meines eigenen Lernens in der Colearning-Community im Effinger in Bern – ein Think Tank, in dem wir nicht nur über neue Kulturen und Wege des Lernens nachdenken – und wie wir es mit unseren Lebens- und Arbeitswelten zusammenbringen, sondern sie konsequent gehen. Zum Beispiel mit der Colearning Akademie.
Netzwerkbasiertes Lernen: Bildung in flexiblen Lernökosystemen
- Konzept: Wir bilden uns in dezentralen Netzwerken, in denen wir primär unser eigenes Lernen gestalten und bei Bedarf Expert:innen, Peers und digitale Ressourcen nutzen.
- Was innovativ ist: Es gibt keine festen Klassenräume, Jahrgänge oder Lehrerrollen. Lernende entwickeln auf kollaborativem Weg passende Projekte, entlang ihrer aktuellen Herausforderungen, zusammen mit Partner:innen und Mentoren.
- Beispiel: Glokale Lernökosysteme, die sich und die entstehenden Colearning-Communities über Online-Plattformen und lokale Netzwerke verbinden. so entstehen Projekte, die konkrete und aktuelle Probleme vor Ort anpacken und lösen. Sie bilden den Lernraum, der zugleich Lebensraum und Arbeitsraum ist.
Community-basiertes Lernen: Bildung im Kontext von Gesellschaft
- Konzept: Lernen findet als Teil des täglichen Lebens in Gemeinschaft statt. Bildungsarbeit ist ganz selbstverständlich integriert in reale Herausforderungen, z. B. durch Zusammenarbeit mit lokalen Unternehmen, sozialen Organisationen oder Gemeinden.
- Was innovativ ist: Die Trennung zwischen „Lernen“ und „Arbeiten“ ist aufgehoben. Bildung geschieht durch Teilgeben und Teilnehmen („Empfangen“) in realen Prozessen in der Gemeinschaft.
- Beispiel: Wir organisieren lokale Nachhaltigkeitsinitiativen, unterstützen solidarisch Menschen im Umgang mit Technologie oder entwickeln Lösungen für soziale Herausforderungen in unseren Umwelten.
Lernräume als offene, dynamische Hubs
- Konzept: Statt festgelegter Schulen gibt es offene Lernzentren (Colearning Spaces), die flexibel genutzt werden können. Diese Hubs bieten und vernetzen in erster Linie Erfahrung, in zweiter Linie Erfahrung und die dritter Linie Erfahrung. Auf Wunsch aber auch Tools, Experten und Technologie, jedoch keine vorgegebenen Lehrpläne.
- Was innovativ ist: Wer ins Lernen geht, holt sich in diesen Netzwerken, in denen ich aktiver und gleichwürdiger Teilnehmender und Teilgebender bin, was ich benötige, und ich teile mein Lernen (in einem Blog, in einem Meeting, in einer Vernissage, in einem brownbag Lunch, in einer Video-Dokumentation, auf Communitytreffen, durch die Gründung eines Lernunternehmens.
- Beispiel: Der institutionelle Aspekt von Lernen und Bildungsarbeit wird zum Beispiel durch einen urbanen Lernhub (Colearning Space) abgedeckt, in dem Menschen jeden Alters zusammenarbeiten und von Mentor:innen unterstützt werden bzw. sich als Mentorinnen gegenseitig unterstützen.
Problemorientiertes und interdisziplinäres Lernen
- Konzept: Wir organisieren Bildung um reale Herausforderungen der Community und ihrer Mitglieder herum, die in disziplinübergreifendes Denken und Zusammenarbeit führen.
- Was innovativ ist: Es gibt da keine Fächer. Stattdessen stehen Fragen wie „Wie können wir den CO2-Fussabdruck unserer Stadt senken?“ oder „Wie gestalten wir gerechte Gesellschaften?“ oder „Wie gründen wir ein Lernunternehmen, mit dem wir unsere Ideen an den Markt bringen?“ im Fokus.
- Beispiel: Wir entwickeln in einem Coworking–Space oder in einem Lernunternehmen Lösungen für die Organisation (unseres eigenen) zeitgemässen Lernens, oder ür ein Abfallproblem in unserer Region, wor analysieren Probleme wissenschaftlich und kollaborativ, berechnen ökonomische Auswirkungen und entwerfen technische Innovationen.
Technologiegestütztes und adaptives Colearning
- Konzept: Wir nutzen Technologie, um individuelle und gemeinschaftliche Lernpfade zu trampeln, die auf die Bedürfnisse und Interessen jeder Einzelnen und auf die der Gemeinschaft zugeschnitten sind.
- Was innovativ ist: Wir passen die überwältigenden digitalen Informationsquellen mithilfe KI-gestützter Systeme dynamisch an unseren Lernfortschritt an und fördern so kollaboratives Lernen in virtuellen und realen Räumen.
- Beispiel: Blogs, auf denen ich mein und wir unser Lernen für uns selbst und für andere sichtbar machen, basierend auf unseren Erlebnissen, Reflexionen, Erfolgen und auf unserem Scheitern.
Freies Lernen – unabhängig von Alter und Institutionen
- Konzept: Wir definieren Lernen nicht durch Seniorität, Institutionen oder Zertifikate, sondern als einen kontinuierlichen biografischen und immer auch gemeinschaftlichen Prozess.
- Lernen als Recht, nicht als Pflicht: Bildung wird als grundlegendes Menschenrecht betrachtet, das zu jedem Zeitpunkt und in jeder Lebenssituation zugänglich ist, dass wir jedoch nicht anderen als uns selbst zur Pflicht machen.
- Wie könnte das aussehen? Jede und jeder von uns hat jederzeit Zugang zu offenen Lernressourcen, Expert:innen, Technologien und Gemeinschaften, ohne dass die Teilnahme erzwungen wird. Bildung wird zu einem Recht, ähnlich wie die Freiheit der Meinungsäusserung.
- Innovativer Kern: Anstelle einer Verpflichtung stellt die Gesellschaft sicher, dass niemand vom Lernen ausgeschlossen wird, aber jede:r selbst entscheidet, wann und wie er oder sie (und alle dazwischen und ausserhalb) lernen möchte.
- Beispiel: Bildungspfade, die ich flexibel an meine Lebenssituation anpasse, z. B. durch Übergänge zwischen beruflichem Lernen, persönlicher Entwicklung und gesellschaftlichem Engagement.
Wertebasiertes und erfahrungsorientiertes Lernen
- Konzept: Der Schwerpunkt liegt auf der Entwicklung von Werten wie Empathie, Nachhaltigkeit und Gemeinschaftssinn – durch Erfahrungen geteilten Lernens und seiner Reflexion.
- Was innovativ ist: Wir definieren und begreifen Bildung nicht primär als Wissenserwerb, sondern als Entwicklung von Handlungskompetenz, Urteilsfähigkeit, Partizipation, sozialem Teilgeben und Teilnehmen.
- Beispiel: Ich lerne ganz selbstverständlich und beiläufig in Projekten, die wissenschaftliche, soziale oder ökonomische Relevanz entwickeln.
Fazit: Bildung ohne „Schule“ als Institution
Diese Vorschläge begreifen Lernen und Bildungsarnbeit nicht mehr als institutionellen Prozess im klassischen Sinne, sondern als dynamisches, offenes und partizipatives Phänomen, das wir an die Herausforderungen der Welt anpassen. Es bricht mit der Trennung von Lern-, Lebens- und Arbeitswelten und legt den Fokus auf die eigene Verantwortung, auf kollaboratives Handeln und auf die Lösung realer Probleme. Statt „Schule“ als fixe Struktur zu vorzugeben und immer wieder zu reformieren, geht es darum, Lernen als integrierten Teil der Gesellschaft zu befreien.

Ob das für mehr als 10 bis maximal 25% der Schüler im Teenageralter funktionieren würde? Die Erkenntnis, dass Lernen etwas Sinnvolles ist und Wissen hilfreich, haben in dem Alter nicht viele. Disziplin (z.B. dass man auch mal ruhig sein muss, damit andere sich konzentrieren können), bekommen sehr viele Kinder nicht mehr von zu Hause mit. Die Idee, dass man allen zur gleichen Zeit dasselbe beibringen kann, hat sicherlich Optimierungsbedarf, aber ohne einen gewissen Druck würden m.M.n. noch viel mehr Leute ganz ohne jegliche Ahnung von irgendetwas anderem als Serienschauen, Onlinespiele spielen und unnötig tausende Videos von sich selbst machen erst das Erwachsenenalter erreichen, bevor sie erkennen, dass sie davon nicht leben können. Dann zu begreifen, dass Lernen in jungen Jahren am schnellsten gegangen wäre, ist auch zu spät.
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Dieses Argument kommt oft – in vielfältigen Varianten: Die können das ja gar nicht! Und dann kommen die Begründungen: Das sind halt Jungs, die sind halt in dem Alter, das sind halt Mädchen, die sind halt mediensüchtig, die pubertieren halt, die sind bildungsfern, die sind sozial schwach, die haben Helikoptereltern – ich könnte ewig so weitermachen.
Das Traurige daran finde ich, dass die, die das dann können sollen, zu einer irgendwie exklusiven Ausnahme erklärt werden (zehn bis maximal 25 %). D.h. also bei einer Klasse mit 25 Schülerinnen und Schülern können das um die fünf, alle andern können das halt nicht, weil sie – siehe oben.
Wir wissen heute jedoch aus Erfahrung und durch wissenschaftliche Reflexion, das es genau umgekehrt ist. Es mag den einen oder die andere geben, der oder die damit enorme Probleme hat, aber die grosse Mehrheit junger Menschen will und kann so lernen, wenn sie es dürfen und darin unterstützt werden, wenn sie die richtigen Menschen und Räume um sich haben.
Wir wissen auch, dass die wenigen, die damit grosse Probleme haben, diese Probleme deshalb haben, weil sie in einem Schulsystem geprägt sind, in dem sie das nie ausleben, lernen und verwirklichen durften, und weil sie in einer Gesellschaft leben, die sich einen feuchten Dreck für junge Menschen interessiert und sich in keiner Weise um sie sorgt, sie als Konsumidioten betrachtet.
Das ist nicht allein meine Erfahrung. Das ist nichts „Anektotisches“. Es ist eine Erfahrung ganz vieler Menschen, die ihr Leben in den Dienst alternativer Lerngemeinschaften gestellt haben, und zwar rund um den Globus, die beweisen: es ist genau das, wonach junge Menschen sich sehnen, und wozu die Natur sie gemacht hat.
Wir Menschen „sind“ nicht – wir verhalten uns in Kontexten zu Kontexten. Nichts davon ist in Stein gemeisselt.
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