Über Respekt in Beziehungen der Abhängigkeit

Junge Menschen stehen gegenüber den meisten Erwachsenen, mit denen sie zu tun haben, in einem Verhältnis starker Abhängigkeit. Das macht den Umgang mit Respekt zu einer Herausforderung – für beide Seiten. Wichtig dabei ist: Junge Menschen sind nicht dazu auf der Welt, um das Bedürfnis von Autoritäten nach Respekt zu befriedigen. Dieser Reflex stammt aus einer anderen Zeit – und hat sie überlebt.

Mehr noch: Wenn ich zu jemandem in einem Abhängigkeitsverhältnis stehe, wie das in unserer Kultur bis heute paradigmatisch bei Lehrenden und Lernenden der Fall ist, dann ist es nicht an der Lehrperson Respekt einzufordern. Schon die moralische Intuition sagt mir, dass der Respekt zuerst und vor allem von der Person ausgehen muss, von der ich abhängig bin – damit ich überhaupt eine Haltung des Respekts entwickeln kann. Das wissen wir heute.

Es sind also umgekehrt wir Erwachsene, zu denen Jugendliche praktisch immer in irgendeinem Abhängigkeitsverhältnis stehen, einfach weil sie jung sind, die wir in der Schuld ihnen gegenüber stehen, vor allem beim Thema Respekt. Wenn da jemand in die Vorleistung zu gehen hat, dann die Erwachsenen und nicht die Kinder.

Was Respekt gegenüber jungen Menschen meinen kann

Respekt gegenüber Kindern und Jugendlichen meint dann Wertschätzung, in erster Linie für das noch nicht gehobene Potenzial junger Menschen und unsere Sorge für eine Lebens- und Lernwelt, in der sich dieses Potenzial ungehindert entfalten kann.

Respekt meint dann auch Aufmerksamkeit auf und Achtung vor den Bedarfen und Bedürfnissen, die junge Menschen haben, weil sie jung sind, weil sie, um sich ihrem Alter und ihren Möglichkeiten entsprechend entfalten zu können, entsprechende Umwelten brauchen, die wir ihnen zur Verfügung stellen – aus Respekt vor ihnen.

Respekt meint dann auch ein glaubwürdiges Handeln zum Schutz der Lebensgrundlagen kommender Generationen.

Über das Wesen des Respekts

Dass Schülerinnen und Schüler gegenüber Autoritäten Respekt zeigen müssen, weil diese Autoritäten sind, gehört in eine andere Zeit. Ob es da um Lehrende geht, um andere Repräsentant:innen staatlicher Gewalt, um Geistliche, um Fürsten oder um “ältere Herrschaften”.

Dieser Reflex gehört in die Zeit, in der junge Menschen dazu angehalten wurden, vor so genannten Autoritäten Respekt zu zeigen, damit sie das auch als Erwachsene tun. Es ging darum, eine gesellschaftliche Hierarchie zu gewährleisten.

Heute leben wir in einer Zeit, in der Respekt seinen Wert aus der Gegenseitigkeit und aus der Gleichwertigkeit erhält. Wir respektieren einander aufgrund einer inneren Überzeugung über den Wert des Menschen. Alles andere fällt nicht unter das Phänomen des Respekts.

Dieser Respekt, mit dem wir uns gegenseitig unsere Wertschätzung zeigen, bedarf keiner tieferen Begründung ausser der, dass wir uns als Gesellschaft und Kultur dafür entschieden haben einander zu respektieren in unserer ganzen Vielfalt, Einzigartigkeit, Verwiesenheit, Vorläufigkeit – und je nach weltanschaulichem Kontext auch aufgrund unserer Gottebenbildlichkeit.

Deshalb bringen wir diesen Respekt auch gegenüber jenen auf, die ihn uns gegenüber nicht aufbringen. Das ist eine unserer wichtigsten kulturellen Überzeugungen.

Zu dieser Überzeugung gehört: Wir machen es nicht zur Bedingung für unseren Respekt, den wir anderen gegenüber zeigen, dass die zuerst oder mindestens als Folge unseres respektvollen Handelns selber respektvoll agieren.

DALL-E über Respekt

Wir rechnen Respekt nicht auf. Nicht zuletzt weil wir intuitiv wissen, dass es in das Phänomen des Respekts hineingehört, unseren eigenen nicht vom respektvollen Verhalten anderer abhängig zu machen. Das würde nämlich den Respekt an sich verschwinden lassen.

Zwar habe ich keine Garantie, dass mein respektvolles Handeln dein respektvolles Handeln zur Folge hat, doch wir wissen dass dort, wo respektloses Handeln mit respektlosem Handeln beantwortet wird, der Respekt insgesamt abnimmt.

Zugleich haben wir damit die Ebene der psychologischen Bedürftigkeit in Richtung einer tieferen verlassen. Wir meinen, wenn wir von Respekt sprechen, nicht bloss die Befriedigung eines individuellen Bedürfnisses, von anderen höflich behandelt zu werden – denn dieses Bedürfnis ist heute so vielfältig geworden wie nur möglich: Was respektvoll gemeint ist, kann ohne weiteres als sein Gegenteil empfunden werden; und dann setzt erst recht die Notwendigkeit von Respekt ein.

Beim Respekt geht es durch seine nicht zu vernachlässigende Oberflächenstruktur des Höflichen und Angemessenen hindurch um eine ganz grundsätzliche Qualität menschlichen Miteinanders.

Zu dieser Qualität gehört: Respekt ist nichts, was du aktiv und ausdrücklich von mir erwartest und einforderst, weil es dann nicht mehr um Respekt gehen würde. Um Respekt handelt es sich dann – im Sinne eines kulturellen Fundaments, wenn ich ihn ungeschuldet ausübe und zeige, nicht aufgrund von Anforderungen, Druck oder anderen Zwängen.

Ich respektiere dich nicht, weil ich dazu aufgefordert oder gezwungen werde, sondern weil ich eine tiefe Überzeugung davon in mir trage. Alles andere ist kein Respekt. Alles andere ist Haltung und Handeln aus Angst gegenüber Autorität, aus Eigennutz oder aus Bewunderung, von der wir wissen, dass sie wenig anderes ist als ein moralisches Strohfeuer.

Die durch und durch kulturelle Haltung des Respekts hingegen, die ihren Wert aus der Gegenseitigkeit und Gleichwürdigkeit bezieht, erwartet keine Gegenleistung. Diese Haltung helfe ich allein dadurch entwickeln, dass ich sie einnehme.

Wie der Respekt im Kind entsteht

Wenn mein Gegenüber, erst recht wenn es sich um ein Kind oder um eine Jugendliche handelt, am eigenen Leib durch mich und in der Beziehung mit mir diesen Respekt erfährt, entwickelt er und sie ihn selbst, auch mir gegenüber und gegenüber allen Menschen und der Welt.

Die Fähigkeit, respektvoll zu handeln und die Position oder Haltung eines Menchen einzunehmen, der andere Menschen und deren Lebensweise(n) respektiert, hängt sehr eng mit der Erfahrung des Respektiertseins am eigenen Leib zusammen.

Diese Erfahrung vermag auch eine solche der tiefen Respektlosigkeit überdauern und ermöglicht mir, gerade in diesen Situationen die Haltung des Respekts nicht zu verlieren.

DALL-E über Respekt
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Autor: Christoph Schmitt

Bildungsaktivist | LinkedIn Top Voice | Colearner | TEDx Speaker | Bildungsdesigner | Bildungsethiker | systemischer Coach & Supervisor | Rituals Expert | Blogger | Nörgler | Ressourcenklempner. Ich unterstütze alles, was mit Aus- und Aufbrechen aus Beschulung zu tun hat. Für Jung UND Alt. Meine Kernkompetenz: Entwicklung ganzheitlich begleiten, moderieren, inspirieren.

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