Organisationen brauchen von Zeit zu Zeit die Möglichkeit, sich ihrer selbst auf dem Weg einer „Erzählarbeit“ neu zu vergewissern und sich der eigenen Aufgabe und Position als Organisation klar zu werden.
Zu diesem Zweck entwickelt sie Anlässe, die solche „autopoetischen Prozesse“ ermöglichen. Anlässe, die einen Rahmen, ein „Bühnenbild“ bieten, das sich von Gesprächsformen und Gesprächsstilen unterscheidet, die im Alltagsgeschäft der Organisation üblich sind.
Dazu müssen wiederum Klienten- und Beratersysteme gemeinsam Instrumente der Wahrnehmung entwickeln, mit deren Hilfe sie erkennen, dass dieses Moment der kulturellen Selbstvergewisserung „dran“ ist. Die „Expertise des Nichtwissens“ ist so eine Haltung, die Formen der (Selbst-)Wahrnehmung und der gewollten Offenheit bei den Beteiligten ermöglicht.
Was ist mit einem „Logotop“ gemeint?
Siegfried J. Schmidt kommt zum Schluss, dass die Kultur einer Organisation nur dann sinnvoll und zielgerichtet gefördert werden kann, wenn die Organisation selbst eine gemeinsame Beobachtungskultur entwickelt, durch die sie ihre eigene Kultur beobachten kann.
Dirk Baecker wiederum hat aufgezeigt, dass dieser Vorgang an der Wurzel paradox ist und bleibt: Das Ergebnis der Beobachtung einer Kultur fördert diese nie unabhängig und nie in irgendeiner „Reinform“ zu Tage, weil Beobachtung immer schon innerhalb jenes Kulturraumes stattfindet, der beobachtet werden soll
Wo liegt also der Gewinn einer Weiterentwicklung der eigenen Beobachtungskultur?
Zum Beispiel in einer kommunikativen Wiederbelebung grundsätzlicher Werte und Überzeugungen im Kontext der Identität der Organisation („Wer wir sind“).
Um diesen Raum der kritisch-reflexiven Selbstvergewisserung begrifflich zu fassen, um ihn für eine Organisation und für die Menschen in ihr handhabbar zu machen, eignet sich das Logotop. Es lehnt sich an die Rede vom Biotop an, welches in biologischer Lesart einen geografisch abgrenzbaren Lebensraum meint, innerhalb dessen sich ein bestimmtes ökologisches System mit Abhängigkeiten und Funktionen etabliert hat und reproduziert.
Der Schriftsteller Martin Walser hat diesen systemischen Aspekt von „Biotop“ auf das Phänomen der Kultur und eines ihrer Hauptwerkzeuge – die Sprache – übertragen. Er nennt die Lebensräume, in denen bestimmte Sprachen sich entwickeln und reproduzieren, Logotope.
In diesem Zusammenhang führt er das Dorf als Kulturgemeinschaft an, in der sprachliche Dialekte als der Kultur zugehörige und mit ihr untrennbar verbundene Artikulationsformen diese selbst „besorgen“, Sprache macht Kultur. Sprachliche Vorgänge, von niemandem geordnet oder gar reglementiert, verlaufen mit einer Regelmäßigkeit, die man als Gesetz formulieren könnte.
Das ist eine wohltuende Erfahrung für Walser, weil der unaufgeschriebene Dialekt so funktioniere: Die Leute, die ihn sprechen und das Dorf der Leute können „mit vollkommener Genauigkeit ohne jede Akademie“ sagen, „was richtig und was falsch ist“.
Letzteres spricht wohl nicht nur auf das formal Sprachliche, sondern auch auf die Werte an, auf die Prämissen und auf das, was einer organisierten Gemeinschaft Orientierung gibt, was also im Kern ihre Kultur bildet.
Organisationen sind – in systemisch-metaphorischer Lesart – solche „Dörfer“
Sie sind Logotope, die sich ihrer Sprache und Kultur selbst vergewissern in der tätigen, also sprechenden Abgrenzung von anderen Kulturen und deren sprachlichen Ausdrucksformen. Darüber hinaus gilt: Jedes Logotop kann für die Reflexion auf sich selbst, auf seine „Wahrheit“, seine Werte, auf seine Kultur, diesen Eigenraum und das eigene „Skript“ nicht verlassen. Das Dorf zieht immer mit.
Das dürfte in einem „Dorf“ ebenso gelten wie in einem anderen „soziotechnischen System“, z. B. in einer Schule, einer Verwaltung, in einem Startup.
Supervision als Reflexion auf diesen „logotopen Aspekt“ kann dann bedeuten: sich mit Hilfe einer externen Moderation des eigenen Skripts bewusst werden, selbstverständliche Annahmen, Urteile und Schlussfolgerungen in der Schwebe zu halten, wie David Bohm das nennt, um die eigenkulturellen Repräsentationen von Realität überhaupt erst als kollektive Konstruktionen sichtbar zu machen.
Das Ziel
Sich in einer kritischen Selbstvergewisserung erneut einer gemeinsamen Sprache zu vergewissern, in der Kommunikationen und Interaktionen erfolgreich gestaltet werden; eine erneute Fein- bzw. Neujustierung von Sprachspielen vorzunehmen, die die Anschlussfähigkeit an die vielfältigen Umwelten der Organisation verbessert und „strukturelle Kopplung“ ermöglicht (vgl. dazu Königswieser & Hillebrand)
Supervision kann dann verstanden werden als moderierte Selbstreflexion, als – hier und da – spielerischer Ernstfall von Autopoetik.
(Gekürzter Auszug aus meiner mit dem Anerkennungspreis der Stiftung IAP prämierten Master-Thesis zum Abschluss meiner Ausbildung als Coach und Supervisior in Organisationen an der ZHAW, 2013)
