Drei Hürden für das Lernen im 21. Jahrhundert – und wie du dich freischwimmst

Warum erleben Menschen die Freiheit im Lernen eher als Risiko, und nicht so sehr als Chance? Nicht nur Lehrerinnen und Lehrer, auch Schüler:innen und Studierende haben grossen Respekt davor, ihr Lernen selber zu organisieren und dafür in die Verantwortung zu gehen. Sie fürchten aus Erfahrung, dass sie sich unterwegs verlaufen, dass sie die Dinge vor sich herschieben, dass sie Ausweichmanöver erfinden, dass sie den Druck der letzten Minute aufbauen, um endlich mit dem Lernen anzufangen. Menschen können faszinierende Strategien entwickeln, um nicht lernen zu müssen.

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Deshalb rufen wir nach Profis, die das Lernen für uns organisieren und kontrollieren sollen. Die Erfahrung ist: Wenn wir nach einem vorgegebenen Plan lernen, wenn Lehrende das Lernen streng organisieren und eng strukturieren, dann sinken die Ablenkungen, und wir gehen unseren Weg Richtung Prüfung einigermassen sicher, ohne unterwegs an Selbstorganisation zu scheitern. Und so geht das ja im Beruf nicht selten weiter: Klare Anweisungen geben und bekommen, klare Abläufe, klare Ziele, und die Mitarbeiter*innen arbeiten das dann ab.

Wie soll ich denn da die Lust am selbstbestimmten Lernen entdecken? Wie könnte ich mich da freischwimmen, wenn ich das denn will? Ich stelle dir jetzt drei Lösungsstrategien vor, die immer funktionieren, wenn du dich dafür entschieden hast, in neue Lernwelten aufzubrechen.

Erste Strategie: Erinnere dich an etwas, das du dir selber beigebracht hast – ohne Schule

Wenn du dein Lernen nur schwer selber organisieren kannst und steuern und bestimmen, dann nicht, weil du doof bist, sondern weil du das noch nicht gelernt hast. Wer Lernen nur aus der Schule kennt, hat noch nicht Lernen gelernt, weil die Schule Lernen komplett durchorganisiert. Deswegen können so viele Menschen nicht selbstbestimmt lernen. Die Lösung für dieses Problem ist denkbar einfach:

Quelle: pixabay

Du findest in deinem Leben Situationen, in denen du dir etwas selber beigebracht hast, ohne einen schulischen Rahmen und ohne Vorgaben, einfach weil du es lernen, begreifen, können wolltest. Das muss überhaupt nichts Grosses sein, darf aber. Es geht nämlich um die Erfahrung, dass du das kannst: selbstgesteuert und selbstorganisiert lernen. Ohne Unterricht, Noten, Fächer, ohne Beschulung und Klassenzimmer. Jede und jeder von uns kann sogar ganz viel, ohne es je in der Schule gelernt zu haben. Das ist dein Schlüssel zu selbstbestimmtem Lernen.

Diese Überzeugung aus eigener Erfahrung: ich kann selbstbestimmt lernen, wenn ich mein Lernen selber bestimmen darf, diese Sicherheit gibt dir den Mut, das Vertrauen und die Kraft, dass du das kannst. Und mit dieser Sicherheit steigst du ein in deine Expedition nach Digitalien.

Zweite Strategie: Suche dir inspirierende Menschen, die sich bereits freigeschwommen haben

Es kann sein, dass du es dort, wo du arbeitest und lernst, als eher mühsam erlebst. Die Strukturen sind alle vorgegeben, die Arbeitsbelastung ist hoch und du siehst nicht, wo du innerhalb deiner Firma oder Abteilung etwas bewegen könntest, inklusive dich selber. Alles eher eingefahren. Gleichzeitig nimmst du wahr, wie sich die Anforderungen an deinen Beruf grundlegend verändern. Du spürst und siehst, wie alles in Bewegung kommt. Was jetzt? Ganz einfach:

Quelle: pixabay

Du nimmst Kontakt auf zu Menschen, die dieses Problem auch hatten, und die es gelöst haben. Von denen gibt es nämlich bereits eine ganze Menge. Von denen holst du dir Inspiration. Nicht Imitation, es geht nicht darum, denen etwas nachzumachen oder sie zu kopieren. Es geht einfach darum, dass du den Mut fasst, dich selber freizuschwimmen.

Dritte Strategie: Dem Gefühl von Angst und Scham die Stirn bieten

Und ein drittes Problem, von dem mehr Menschen betroffen sind als es scheint, ist die Angst im Kontext von Lernen entwertet zu werden, beschämt, entwürdigt. Das ist bis heute in schulischen Kontexten gang und gäbe. Dafür gibt es ausreichend Studien. Beschämt entweder durch Mitlernende (Stichwort Mobbing), oder durch Lehrpersonen, oder auch durch das Benotungssystem, das ziemlich beschämend wirken kann.

Deshalb ist Lernen für etliche Menschen zeitlebens mit der Angst vor Beschämung verknüpft – und die fällt dir unter Umständen in den Rücken, wenn du etwas Neues lernen möchtest, wenn du ganz am Anfang stehst, noch unsicher bist, womöglich umgeben von Leuten, die alle so sicher & souverän rüberkommen. Was hilft da?

Mir hat ein Coach mal gesagt: Solange du da nicht genau hinsiehst, solange du dich von solchen schmerzhaften Erfahrungen abwendest, fallen sie dir immer wieder in den Rücken bei deinen Versuchen dich freizuschwimmen. Ich fand dieses Bild sehr hilfreich: Dass ich solchen Gefühlen nicht die kalte Schulter zeige, sondern anfange ihnen die Stirn zu bieten, ihnen ins Gesicht sehen.

Ich mache Entwürdigung und Beschämung zum Thema. Ich lerne „Stop!“ sagen. Egal von woher die Stimmen kommen, die mir einreden, dass ich das eh nicht hinkriege. Und dafür suche ich mir einen geschützten Rahmen, wo ich meine Unsicherheit und Angst aussprechen kann, wo ich Sicherheit erlebe und Solidarität. Denn auch hier stelle ich schnell fest: Es geht vielen so. Wir reden einfach sehr selten drüber. Aber nur so machen wir eine Lerngelegenheit draus: Wenn wir‘s gemeinsam zum Thema machen.

Quelle: bing/AI. „Create a safe Space in the Spirit of van Gogh“

Und da es geht nicht darum, in Selbstmitleid zu baden. Es geht im Gegenteil darum, sich frei zu schwimmen.

Das sind also meine drei Strategien.

  • Werde dir bewusst, dass du schon dein ganzes Leben ein kompetenter Selbstlerner bzw. eine kompetente Selbstlernerin bist – dass du das drauf hast.
  • Vernetze dich mit Menschen, die sich freigeschwommen haben und lass dich von ihnen inspirieren.
  • Biete dem Gefühl von Scham und Angst die Stirn.

Diese drei Strategien haben eines gemeinsam:Es geht ihnen immer um deine Ressourcen und darum, dass du an sie rankommst. An deine Energie, an deine Selbstwirksamkeit. Die stärkste Kraft, die wir Menschen mit auf die Welt bringen, die mächtigste Ressource, ist das Lernen: selbstbestimmt, selbstgesteuert, selbstverantwortet.

Wer an diese Ressourcen rankommt, hat in Digitalien ausgesorgt.

Und wenn du magst: In diesem Video erzähle ich, wie ich mich freigeschwommen habe aus dem Wirrwarr an biografischen Lern-Verstrickungen:

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Autor: Christoph Schmitt

Bildungsaktivist | LinkedIn Top Voice | Colearner | TEDx Speaker | Bildungsdesigner | Bildungsethiker | systemischer Coach & Supervisor | Rituals Expert | Blogger | Nörgler | Ressourcenklempner. Ich unterstütze alles, was mit Aus- und Aufbrechen aus Beschulung zu tun hat. Für Jung UND Alt. Meine Kernkompetenz: Entwicklung ganzheitlich begleiten, moderieren, inspirieren.

Ein Gedanke zu „Drei Hürden für das Lernen im 21. Jahrhundert – und wie du dich freischwimmst“

  1. Das Spannende ist, dass Kinder als hervorragende Lernerinnen und Lerner zur Welt kommen. Sie ahmen nach, experimentieren und starten beim Scheitern einfach einen neuen Versuch. Sie probieren die Früchte ihrer eigenen Neugier und Kreativität ohne zu zögern aus und üben so ohne äusseres Kommando.

    Irgendwann nach ihrem Schuleintritt kommt vielen diese Neugier und Lernexpertise abhanden. Sie mutieren dann allmählich vom intrinsischen zum extrinsischen Lerner. Das kann – muss aber nicht – in der normalen Entwicklung ihres Gehirns begründet sein. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass der soziale Druck, sich an die Lerngruppe anzupassen, grösser ist, als die intrinsische Motivation. Dafür sind wir als Erwachsene verantwortlich. Unsere Kunst sollte es sein, die soziale Integration zu fördern, ohne Neugier und Kreativität einzudämmen.

    Aus meiner Sicht die Königsdisziplin der Pädagogik!

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