Nun sag mir: Wie hältst du’s mit der Online-Lehre?

Eine aktuelle, gross angelegte Studie von McKinsey zeigt: An der Haltung traditioneller Lehre hat auch die Pandemie nichts verändert, von der ja so gerne erzählt wird, sie habe die Remote-Kompetenz des Bildungssystems schlagartig erhöht. Die Zahlen sind ernüchternd und weisen darauf hin, dass die entscheidenden Herausforderungen einer Bildung unter Bedingungen der Digitalität nach wie vor nicht in den Blick kommen.

Woran könnte es z.B. liegen, dass viele Studierende immer noch zögern, sich für Programme einzuschreiben, die vollständig aus der Ferne abgehalten werden? „Studierende weltweit nannten diese drei Hauptgründe:

  • Angst, durch das Online-Lernen stärker abgelenkt zu werden,
  • Langeweile, wenn die Lernerfahrung nicht motivierend ist,
  • und mangelnde Disziplin beim Absolvieren des Online-Programms.“

Diese Wahrnehmungen scheinen, so die Studie,

„darauf hinzudeuten, dass Online-Programme für einen Teil der Studierenden keine ansprechende Lernerfahrung generieren konnten.“

Was machen Hochschulen?

„Zurück in den Hörsaal!“ – und zugleich den Spassfaktor (nicht nur) von Online erhöhen: Gamification, Virtual Reality und Konsorten. Statt gemeinsam bei der Frage anzusetzen, wie Menschen jeden Alters ihr Lernen immer besser selber organisieren, bestimmen, reflektieren, steuern und verantworten – also: sich emanzipieren aus der Käfig-Haltung, die wir im Verlauf unserer Bildungsbiografie verinnerlicht haben.

(Hoch)Schulen schrauben mit dem Didaktik-Schlüssel an ihrem Angebot rum, statt auf die Bedarfe Lernender zu achten bzw. sie verwechseln das Zweite mit dem Ersten. Umso wichtiger das Ergebnis der Studie, dass die Spielzeuge, in die derzeit am meisten investiert wird, bei Studierenden nicht wirklich ankommen:

„Online-Attribute, deren Implementierung teuer ist, wie etwa virtuelle Realität (VR), Simulationen und anspruchsvolle visuelle Inhalte, werden von den meisten Studierenden nicht hoch eingeschätzt.“

Bildung als Bühnenshow

Die Studie zeigt, dass Lehre noch immer mit „Bühnenshow“ verwechselt wird: „Online programs are not motivating enough and I would get bored.“ Lernende tendieren dann dazu, den Sender zu wechseln. Sie zappen und scrollen: „I get more distracted studying online“ und „I lack the discipline to participate in an online program.“ – also muss was Interessanteres her, das die Aufmerksamkeit der Studierenden bindet. Was Motivierendes, Spielerisches.

Das erhöht nun aber nicht die Selbstlernkompetenz Lernender. Es erhöht im Gegenteil die Abhängigkeit davon bespielt zu werden und gerade nicht in die Verantwortung zu gehen. Für mich ist das eine weiter zunehmende Infantilisierung Studierender – aber auch ohne diese Zuspitzung gilt: die Unselbstständigkeit verbleibt auf hohem Niveau:

„In 80 Prozent der befragten Länder gaben Studierende an, dass der Hauptgrund, warum sie den Präsenzunterricht bevorzugen, darin besteht, dass es durch Präsenzunterricht einfacher ist, Hilfe von Dozenten zu erhalten, als durch Online-Lernen.“

So sorgt man systemisch für den Erhalt und den Ausbau erlernter Hilflosigkeit — egal ob der Support auf einem Campus erfolgt oder remote.

Würde ich „meine Uni“ einer Freundin oder einem Familienmitglied empfehlen?

Dabei lernen die doch am Gymnasium schon die Selbstständigkeit!

Hier und da höre ich dann flüstern: „ … und das, wo sie sich doch von der Schule her schon gewohnt sind, selbstständig zu lernen“ – was ja auch wieder nicht stimmt. Schule übergibt einfach vermehrt Lehraufgaben an Lernende – was beim zunehmenden Lehrermangel und dem steigenden Administrationsaufwand der verbleibenden Kolleg:innen verständlich ist 😅

Schule erhöht nicht den Anteil selbstorganisierten Lernens. Sie „erlaubt“ Lernenden vielmehr, dieselben Mengen Stoffes zeitweise unbeaufsichtigt abzuarbeiten. Da sind dann natürlich Organisationsfähigkeiten gefragt, die vor allem mit Informationslogistik zu tun haben. Das Lernen selbst hingegen bleibt fremdbestimmt und fremdgesteuert: Inhalte und zeitliche Rahmen sind ja nach wie vor vorgegeben.

Die Folge ist, so zeigen auch die Ergebnisse der Studie, ein bleibend hohes Mass an Unselbstständigkeit:

„Beispielsweise gaben Studierende in 16 der 17 Länder an, dass ein sehr gut organisierter Online-Kurs mit einem klaren Weg und einer Schritt-für-Schritt-Anleitung zum Erreichen ihrer Ziele zu ihren fünf wichtigsten Elementen gehört.“

Studierende verzichten lieber auf Formen des Lernens, die für sie echte Selbststeuerung erfordern würden:

„Netzwerkelemente wie ‚Peer-to-Peer-Lernen in Online-Umgebungen‘ und ‚von Institutionen oder Studierenden geleitete Vernetzung‘ rangierten in den meisten Ländern ebenfalls im unteren Quartil der Bedeutung“.

Es ist höchste Zeit, Bildungsarbeit neu zu erfinden, denn der nach wie vor absurd hohe Stellenwert der Informationslogistik in Prozessen der Befähigung und Qualifizierung für ökonomische und zivilgesellschaftliche Partizipation ist in Zeiten von KI kontraindiziert. An ihre Stelle tritt ein dramatisch schnell zunehmender Bedarf an Kompetenzen, die von Schule und Hochschule nach wie vor ignoriert werden.

Mir zeigt die Studie darüber hinaus, dass Studierende ihren Fokus vor allem darauf legen, den Ausbildungsprozess so effizient wie möglich zu organisieren, um zu den damit verbundenen Abschlüssen zu kommen. Ob sie dabei „future skills“ erwerben, bezweifle ich erneut, nachdem ich die vorliegende Studie konsultiert habe. Sie brauchen ja auch eher Skills zur Schul- und Prüfungsbewältigung.

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Die inspirierende Quelle: Philippa Hardman und ihre inspiriernde Arbeit
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Autor: Christoph Schmitt

Bildungsaktivist | LinkedIn Top Voice | Colearner | TEDx Speaker | Bildungsdesigner | Bildungsethiker | systemischer Coach & Supervisor | Rituals Expert | Blogger | Nörgler | Ressourcenklempner. Ich unterstütze alles, was mit Aus- und Aufbrechen aus Beschulung zu tun hat. Für Jung UND Alt. Meine Kernkompetenz: Entwicklung ganzheitlich begleiten, moderieren, inspirieren.

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